: Vom Mann für den Mann, quasi
FRISEURBESUCH Mann-männliches Freundschaftsleben in muslimischen Communitys – ein rosarotes Abenteuer unter scharfen Messern, voll gespiegelt, akribisch beobachtet, und ein Gesicht, sanft und glatt wie ein Babypopo
VON PAUL TAYLAN KILIC
Es brodelt wieder. Die Nachmittagssonne liegt über Berlin und breitet ihre starken Arme um alles, was sich bewegt. Mädchen schwatzen mit Mädchen. Viele sind mit Tanktop oder Leggins unterwegs. Hauptsache knapp. Geruch von Schweiß liegt in der Luft.
Auf einer Bank im Schatten sitzt Kazim, 21 Jahre. Basecap auf dem Kopf, Smartphone in der Hand, türkische Volksmusik. Er wartet. Kazim ist einigermaßen groß und ziemlich dünn. Eben ist er, die Wohnungstür leise hinter sich schließend, seinen zeternden Tanten entflohen.
Das Smartphone vibriert. Faruk ist dran. „Alles klar? Wo steckst du?“, fragt Kazim. „Hast du den Roller? Okay, bis gleich.“ Mit zufriedener Miene macht er sich auf. Sie treffen sich am Kanal.
Kazim und Faruk sind enge Freunde. Sind miteinander aufgewachsen und teilen eine Menge Erlebnisse und Erfahrungen. Auch ihre Familien haben ein gutes Verhältnis.
Auf dem Weg hört Kazim das laute Aufbrausen eines Motors. „BMW Q7“, sagt er mit geschlossenen Augen. Derselbe Wagen fährt mit lautem Getöse an ihm vorbei. Kazim liebt alles, was auf dem Asphalt eine gute Figur macht. Er ist absoluter Experte.
Als er sich dem Kanal nähert, sieht er Faruk schon von weitem lässig auf seinem in der Sonne blitzenden Motorroller sitzen. Mit der schwarzen Sonnenbrille und seiner athletischen Statur gleicht er einem Adonis.
Kazim läuft einen kleinen Bogen und steht seinem Freund nun genau im Rücken. Mit einem Satz wirft er sich auf die Schultern des herumfahrenden Faruks und hält sich an seinem Hals fest. Auf dem muskulösen Rückgrat sieht Kazim aus wie ein zappelndes Äffchen. Faruk wirft ihn sofort ab und warnt ihn mit weinerlichem Unterton: „Pass doch auf! Das Shirt ist neu!“
Wenn es eines gibt, was Faruk nicht mag, dann, wenn irgendwas an seinem Outfit nicht stimmt. Er legt immensen Wert auf sein Aussehen. Und das sieht man: längere, mit Haarfestiger nach hinten gekämmte Haare, peinlich genaue Rasur. Er trägt ein enges Muscleshirt, aus dem mächtige Bizeps ragen. Um sich in Form zu halten, geht er regelmäßig ins Fitnesscenter und ins Solarium, von wo er gerade, frisch gebräunt, herkommt.
Trotz des Ärgernisses legt er seinen Arm um Kazim und küsst ihn, wie jedes Mal, sanft einmal auf die linke, dann auf die rechte Wange. Kazim lehnt sich an den Roller, während Faruk immer noch breitbeinig auf dem Sitz hockt. Sie fangen an, sich auszutauschen.
Faruk fragt: „Welche Louis-Vuitton-Mütze soll ich kaufen?“ Er hält Kazim sein Smartphone hin. „Ich kann mich nicht entscheiden.“ Kazim antwortet gelangweilt: „Sehen für mich alle gleich aus.“ – „Du hast doch keine Ahnung. Komm, ich zeig dir, was Style ist. Wir gehen zum Friseur“, sagt er und hält Kazim den Helm hin. „Nicht schon wieder. Warst du nicht letzte Woche erst?“, seufzt Kazim, nimmt aber trotzdem den Helm. Er hat Lust, Roller zu fahren. Steigen aufs Zweirad. Faruk vorne, Kazim hinten. Während der Fahrt legt der seine dünnen Arme um Faruks Hüften. Stolz fahren sie durch den Kiez.
Der Friseursalon ist von oben bis unten in Pink gestrichen. Eine Wartebank steht auf der linken Seite des kleinen Raumes, über der eine große Goldene Wanduhr vor sich hin tickt, drei Friseurstühle auf der rechten Seite. Vor den Stühlen hängt ein riesiger Spiegel. In ihm kann jeder jeden sehen. Der ganze Laden ist tapeziert mit Abbildungen von gut aussehenden Männern, die mit sympathischem Lächeln ihre Frisur in Szene setzen. Hier werden ausschließlich Männer frisiert. Vom Mann für den Mann, quasi.
Als Faruk und sein Freund den Salon betreten, ist der Friseur sichtlich erfreut, heißt sie willkommen. Man nennt ihn Osman Bey. Der wuchtige Mann trägt ein pinkfarbenes Hemd. Über seiner Oberlippe befindet sich ein perfekter Schnurrbart, um seinen speckigen Hals hängt ein dünnes Goldkettchen. Ihn umnebelt Parfümgeruch. Das strahlende Hemd ist in eine weiße Leinenhose gestopft. Es ist aufgeknöpft, er trägt sein Brusthaar offen.
Im Moment befreit er einen Kunden, der zurückgelehnt auf einem Stuhl Platz genommen hat, von jeglicher Gesichtsbehaarung. „Das volle Programm“, lacht Faruk Kazim an, „gleich bist du dran!“
Man sieht Kazim an, dass er eigentlich wieder Roller fahren will. „Okay, aber nur rasieren.“ Sie setzen sich auf die Wartebank. Kazim ahnt schon, was ihm dämmert. Volles Programm, das heißt Vollrasur, gezupfte Augenbrauen und Entfernung der Ohrenhaare. Einmal in seinem Leben hat er das über sich ergehen lassen. Und das war vor dem Abiball.
Kaum sitzt Kazim auf dem Friseurstuhl, ist er mit gut riechendem Schaum eingeseift. Osman Bey kann es einfach. Hat für seine Statur verblüffend kleine Hände. Nimmt das Rasiermesser in die Hand und klappt es auf. Die in den Salon hereinscheinende Sonne strahlt noch stark genug, dass die rechteckige Klinge des Messers aufblitzt.
Vorsichtig, aber mit sicherem Griff fängt der Friseur nun an, Kazims dürftigen Bartwuchs von den Wangen zu kratzen. Kazim lehnt sich zurück. Die Behandlung muss sehr angenehm sein. Jedenfalls macht er einen sehr wohligen Gesichtsausdruck. Strich um Strich wird das Gesicht des jungen Mannes glatter und glatter. Wie ein Babypopo, glatt und schön und haarlos. Perfektionistisch legt Osman Bey mit der nackten Klinge an und zieht mit sanft ausgeübtem Druck eine Kurve bis zum Kinn.
Faruk guckt konzentriert zu, erlebt alles über den Spiegel mit. Er lässt seinen Blick nicht von Kazim. „Richtiger Playboy“, hört man ihn rufen. Kazim hält den Daumen hoch. Der Friseur möchte wissen, wie er die Koteletten gerne haben möchte. „Schmal und lang.“
Jetzt kommt der unangenehmere Part. Osman Bey nimmt zwei Fäden in die Hand, spannt sie zu einem X und fängt an, Kazims Augenbrauen zu zupfen. Die eleganten Bewegungen, die er dabei macht, haben etwas Meisterliches. Mit akkuratem Blick visiert er jedes überstehende Härchen an und zieht es mit einem Ruck heraus. Das passiert in einem schnellen, rhythmischen Tempo.
Danach sind die Ohren dran. Aus einer Tasche, die am Stuhl befestigt ist, zieht Osman Bey einen winzigen, fackelartigen Holzstab heraus, entzündet die eine Seite mit einem goldenen Feuerzeug und hält die brennende Seite ohne Vorwarnung kurz an Kazims Ohrmuscheln. Kazim schmerzt es, klar, aber er kennt die Prozedur und hält still.
Nach circa zwanzig Minuten steht Kazim mit einer Menge Haare weniger im Gesicht von dem sperrigen Friseurstuhl auf. „Glatt wie die Kotflügel eines Ford Mustang“, sagt Kazim und ist sichtlich zufrieden mit der Arbeit des Friseurs. Faruk muss lachen. Osman Bey grinst und wünscht beiden alles Gute. Die Rasur geht aufs Haus. Die Jungs bedanken sich und verlassen glücklich den Friseursalon.
Es ist Sonnenuntergang. Die Menschen auf der Straße wenden sich dem warmen Licht zu. Rosarote Wolken liegen über Berlin. Die Farben am Horizont schmelzen zusammen.
Kazim und Faruk steigen auf ihr Gefährt und knattern los.
■ Paul Taylan Kilic, 20, Mitglied der taz-Akademie, lebt in Berlin