: Freundschaft war existenziell
FORTSCHRITT In einem Umfeld der Unterdrückung können Schwule und Lesben nur durch Solidarität überleben. In der Freiheit wird Freundschaft selbst gewählt – auch mit Heteros
VON JAN FEDDERSEN
Ginge es nach den Wünschen des katholischen Klerus, müsste alles so sein, wie es war. Homosexuelles, das Begehren eines Körpers vom gleichen Geschlecht, darf nicht ausgelebt werden, ist Sünde und führt ganz bestimmt nicht in den Himmel. Schwules ist schmutzig, Lesbisches natürlich ebenso – und reinlich bleibt der Körper nur, ist sein sexuelles Sehnen auf die Produktion von Nachkommen gerichtet. Wo Kleriker dieser Mentalität echte, weltliche Macht hatten, waren sie nicht zimperlich, jene, die vom Pfad der Tugend abwichen, nötigenfalls zu Tode zu bringen. Das ist in unseren Gegenden nicht mehr der Fall, aber in den meisten Regionen der Welt schwimmt man komfortabel im Mainstream, findet man Homo-, Trans- wie Intersexuelle schrecklich – und Politiken, die es auf ihre bürgerliche Gleichberechtigung, auf ihre Sichtbarkeit abgesehen haben, strafwürdig.
Die meisten Länder bestrafen nichtheterosexuelle Menschen teilweise drakonisch, werden sie bei ihrem gleichgeschlechtlichen Tun erwischt. Saudi-Arabien, Iran, Uganda – und in Europa ein Land wie Russland: Homosexualität steht unter Todesdrohung, mindestens ist das libertäre, gleichmütig positive Sprechen über sie verboten. So wie es unfassbarerweise die russische Parlamentsmehrheit mit Präsident Putins Billigung jüngst beschlossen hat: Selbst das freundlich-gewogene Gespräch über Homosexuelle steht unter Strafandrohung.
Die christliche Lösung, die der Vatikan in seinen aktuellen Verhaltensfibeln unterbreitet, ist einfach: Schwule und Lesben, ihr seid verfehlt, ihr müsst verzichten, aber ihr könnt ein inneres Asyl finden, und das nennt sich Freundschaft. Diese Verbindung zweier Menschen, die oft inniger gelebt wird, als es in einer Ehe zugeht, sei der seelische Ort, an dem das Verlangen nach einer Person des gleichen Geschlechts gut aufgehoben ist. Schwule Männer haben diesen Freundschaftsgedanken immer erheblich erweitert: Befreundet zu sein hieß, sich beizustehen in Zeiten, in denen offenes Schwulsein unmöglich war, gesellschaftlich gesehen.
Freundschaft war auch ein Mogelwort. Man bezeichnete den Geliebten nicht als Geliebten, sondern als Freund, als Kumpel, als Kollegen – weil das richtige Wort nicht gesagt werden konnten. Freundschaft war in den fünfziger bis noch in die frühen siebziger Jahre hierzulande noch eine vertrauenstiftende Konstruktion: Sich zu vertrauen war lebenswichtig, um der Verfolgung zu entgehen, die faktisch überall drohte. Durch Polizei, Spitzel, Vermieter etwa.
Diese Freundschaftlichkeit aus existenzieller Not hat sich weitgehend überlebt. In den meisten Ländern Europas sind in den vergangenen Jahrzehnten queere Netze gewachsen – öffentlich sichtbar, durchsetzungsstark, interessiert an der Verbesserung der rechtlichen Positionen. Politische und kulturelle Bewegungen, die aus der Perspektive von homophoben (religiösen, postsowjetischen) Milieus, etwa in Osteuropa, sich hauptsächlich so ausnehmen: schamlos.
Und diese sind sich ziemlich einig mit jenen Menschen, die vor wenigen Wochen die Politik der sozialistischen Regierung in Frankreich wütend bekämpften – nein, ihrem Verständnis nach sollen Schwule und Lesben nicht gleichberechtigt sein. Sie berufen sich auf ein Verständnis von Natur, das direkt aus dem intellektuellen Fundus des 19. Jahrhundert stammt. Dass nämlich für die elterliche Obhut von Kindern nur ein verschiedengeschlechtliches Paar geeignet sein kann. Dass also die religiösen Ordnungen – in Frankreich gab es an dieser Frage erstmals ein herzliches Bündnis von Christen, Muslimen und Juden – aus den Angeln gehoben werde. Nichts davon wird wahr werden: Mit der bürgerlichen Gleichberechtigung von nichtheterosexuellen Beziehungen (und Elternschaften) in Frankreich, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island, den Niederlanden und Belgien, Spanien und Neuseeland, mehr und mehr in den USA, wird nur das Programm der bürgerlichen Aufklärung aufs Neue und stärker denn je differenziert. Was zählt, ist dann nicht mehr Dynastisches, Blutfamiliäres und Naturhaftes, sondern – die Liebe. Das Wahlverwandte, das Freundschaftliche, die Freiheit in Liebesdingen schlechthin.
Um es gegen die Gebote der politischen Korrektheit zu sagen: Gesellschaften, die diese bürgerlichen Selbstaufklärungen wollen, sie sich erkämpfen, sind zivilisierte. Solche, die dies verweigern, die nichts außer heterosexualisierte Strukturen dulden wollen, verdienen dieses Prädikat nicht. In den meisten europäischen Ländern ist dieser Prozess der Entprivilegierung von verschiedengeschlechtlichen Ehen beinhart erkämpft worden.
Historisch sind, was die bundesdeutschen Verhältnisse anbetrifft, 44 Jahre kurz. Für die meisten jener, die in der Schwulenbewegung seit den siebziger Jahren kämpften, sind diese Zeiten sehr gut in Erinnerung geblieben. Nirgends war von Homoehe die Rede, von Antidiskriminierungsprogrammen – und jede Spekulation, dass eines Tages CDU und CSU durch das Bundesverfassungsgericht gezwungen werden würden, schwulen und lesbischen Paaren den klassisch heterosexuellen Belohnungsbonus namens Ehegattensplitting zuzubilligen, wäre als Phantasterei abgetan worden.
Was nach dieser „Normalisierung“ kommen wird, ist naturgemäß offen. Hoch wahrscheinlich jedoch ist, dass Hass auf Homosexuelles bei Einzelnen festgestellt werden kann, aber in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte keinen Platz mehr haben kann. Für junge Schwule und Lesben wird das sexuelle Begehren so kompliziert oder simpel sein wie für jeden Heterosexuellen auch – aber das Drama des Homosexuellen, als solcher in jeder Hinsicht abgelehnt zu werden, wird immer blasser werden. Was für ein Fortschritt!
Freundschaften zwischen Homos und Heteros werden mehr denn je möglich – und die Themen des Queeren müssten dann nicht mehr ausgespart werden, um die Beziehung quasi stubenrein zu halten. In den szenig-hippen Vierteln der Metropolen, in Berlin, Köln, Hamburg, Frankfurt oder Mainz, spielt, so sagen es buchstäblich alle, Homo- und Heterosexuelles keine separierende Rolle mehr. Worauf es ankomme, seien kulturelle Allianzen, Vorlieben, Prägungen – Geschmäcker, die das Sexuelle nicht in den Vordergrund stellen.
Vielleicht ist das nicht ganz richtig, möglicherweise ist „homo oder hetero – egal“ auch ein wenig hoffnungsbesoffen. Denn was den Sex anbetrifft, separiert es sich nötigerweise am Ende dann doch. Aus schwulen, lesbischen Augen darf man stärker denn je aber sagen: Wir haben nichts gegen Heteros, einige unserer besten Freunde sind so.
Diese Entwicklungen sind in den meisten Weltgegenden noch offen. Ohne sie wird es nicht gehen. Eine Welt, die queere Diversität nicht schätzt, kann keine friedliche sein.