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Archiv-Artikel

„Die Waffe habe ich nie benutzt“

Susanne Bauer

„Eine Frau steht mehr im Fokus. Als ich auf dem Weg in den höheren Dienst war, bin ich von Vorgesetzten mehrfach gefragt worden, wie mein Mann damit klarkommt, dass ich Karriere mache. Welcher Mann wird so was gefragt?“

Bei der Berliner Polizei müssen Frauen immer noch besser sein als Männer, um Karriere zu machen. Susanne Bauer, 43, gehört zu den wenigen, die es nach oben geschafft haben. Und das, obwohl sie ein Kind hat. Schon als einfache Kriminaltechnikerin hat sie es ihren Kollegen gezeigt, nicht nur bei der Analyse von Fingerabdrücken. Auch „Leichensachen“ habe sie gerne bearbeitet, sagt sie. Nach der Wende hat sie das Kommissariat für Zuhälter und Menschenhandel geführt, später das Fahndungsdezernat und den Tatort-Erkennungsdienst mit 100 Beamten. Seit einem Jahr entwickelt die Kriminaloberrätin nun als Landespräventionsbeauftragte der Polizei Konzepte gegen Gewalt.

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE

taz: Frau Bauer, was treibt eine Kriminaloberrätin, die nach Mördern gefahndet und Menschenhändlerringe ausgehoben hat, dazu, Landespräventionsbeauftragte der Polizei zu werden?

Susanne Bauer: Das Interesse für gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge. Die Suche nach neuen Erkenntnissen. Die Möglichkeit, jenseits enger polizeilicher Kategorien zu denken – ohne dabei den Blick fürs Detail zu verlieren.

Was den Blick angeht, haben Sie ja Übung.

Absolut. Ich komme aus dem Bereich der Kriminaltechnik. Ich habe den Tatort-Erkennungsdienst – alles rund um den Fingerabdruck – geleitet. Als ich bei der Polizei anfing, wurden die noch von Hand ausgeformelt und verglichen. Da musste man sehr genau sein. Man hat einen anderen Blick, auch für Menschen. Man achtet mehr aufs Detail. Das ist auch der Grund, warum ich immer gerne Leichensachen bearbeitet habe.

Wie bitte?

Die Beamten vom Erkennungsdienst führen immer den ersten Tatort-Angriff durch. Dazu gehören auch die Fotografen, deren Aufgabe es ist, die Leiche zu fotografieren. Was das für Bilder sind, kann man sich nicht vorstellen. Die Opfer sind zum Teil aufs Grausamste zugerichtet. Wenn es ein interessanter Mord war, habe ich mir die Fotos vorlegen lassen. Ich konnte immer gut trennen. Ich habe mich nicht in das Menschliche hineinversetzt. Ich habe nur das Kriminalistische betrachtet.

Was verstehen Sie unter einem interessanten Fall?

2002 hatten wir es mit einem Raubmord an einem Kioskbesitzer zu tun. Der Mann war förmlich zertreten worden, wegen ganz wenig Geld. Der einzige Hinweis auf den Täter war ein Handflächenabdruck, für dessen Identifizierung meine Dienststelle zuständig war. Meine Kollegen haben in zwei Jahren an die 25.000 Fingerabdrucke verglichen. Dann hatten wir den Täter.

Für eine Frau haben Sie es in der Männerdomäne Polizei weit nach oben geschafft. Wie haben Sie das gemacht?

Mit Köpfchen, versteht sich. Aber ich war nie der Typ, der gesagt hat, ich will unbedingt Karriere machen. Und ich wollte keine Männerimitation im Sinne von „besonders hart sein“. Ich habe mir immer gesagt, wenn ich es als Frau nicht schaffe, dann eben nicht.

Sie hatten sehr früh Führungspositionen inne.

Gleich nach der Wende, da war ich 30, habe ich das Kommissariat für Zuhälterei, Menschenhandel und Prostitution geführt. Ich habe immer so geführt, dass ich meine Entscheidungen mit den Kollegen zusammen getroffen habe. Wir hatten es damals mit mehreren Hierarchieebenen von Zuhältern zu tun, die den Ostteil Berlins unter sich aufzuteilen versuchten. In der Oranienburger Straße hatte sich ein Straßenstrich etabliert, der die Organisierte Kriminalität magisch anzog.

Waren Sie bei den Razzien dabei?

Natürlich. Dass eine Frau die Leitung hatte, war den Zuhältern ziemlich unheimlich. Dementsprechend waren ihre Bemerkungen. Den Großzuhälter haben wir ins Gefängnis bringen können.

Das klingt jetzt nach Tatort und Kommissarin Lena Odenthal.

Mit dem Unterschied, dass die Tatortkommissarin Odenthal ständig mit Knall und Peng in Wohnungen einfällt. Ich habe die Waffe in meinem Leben nie benutzt. Klar habe ich sie mal gezeigt. Aber dass Frau Odenthal so oft schießt, ist unrealistisch.

Aus der Zeit, als Sie das Fahndungsdezernat geleitet haben, haben Sie bestimmt auch spannende Geschichten auf Lager.

Ich erinnere mich noch gut an den Fall eines Mörders, der mit einer Pumpgun eine Frau erschossen hatte. Danach ist er untergetaucht und hat sein Aussehen komplett verändert. Eigentlich war er dünn und spack und hatte lange Haare. Die hat er abrasiert und sich 20 Kilo angefressen. Es hat eineinhalb Jahre gedauert, bis wir seinen Aufenthaltsort rausgekriegt haben.

Wo haben Sie den Mann gefasst?

In einem Schwimmbad in Lankwitz mit Unterstützung des Spezialeinsatzeinsatzkommandos. Wir wussten, dass er eine Tätowierung hat. Die konnte man aber nur sehen, wenn er nichts anhatte.

Müssen Frauen bei der Polizei immer noch besser sein als Männer, um in Führungspositionen zu kommen?

Ich behaupte schon. Eine Frau steht mehr im Fokus. Es wird viel mehr darauf geachtet, wie sie sich verhält. Als ich auf dem Weg in den höheren Dienst war, bin ich von Vorgesetzten mehrfach gefragt worden, wie mein Mann damit klarkommt, dass ich Karriere mache. Welcher Mann wird gefragt, wie seine Frau damit klarkommt, dass er Karriere macht?

Wie kommt Ihr Gatte damit klar?

Mein Mann ist auch Kriminalbeamter. Er arbeitet im Bereich Organisierte Wirtschaftskriminalität. Wenn er von Kollegen gefragt wird, ob es ihn nicht stört, dass seine Frau mehr verdient als er, sagt er immer: Von mir aus könnte die noch viel mehr verdienen. Ist doch schön für uns. Im Ernst: Mein Mann hat überhaupt keine Probleme damit. Er kriegt von seinen Kollegen auch Anerkennung. Viele finden es toll, dass er halbtags arbeitet. Das macht er wegen unseres Kindes. Aber selber machen würden es wohl nur die wenigsten.

War es eine gemeinsame Entscheidung, dass Ihr Mann den Erziehungspart übernimmt?

Die Nachricht, dass ich schwanger bin, war für uns eine große Überraschung. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt geglaubt, dass ich keine Kinder bekommen kann. Ich befand mich gerade im Vorbereitungslehrgang für die Polizeiführungsakademie in Hiltrup, als ich es erfuhr.

In Hiltrup im Münsterland wird die Polizeielite Deutschlands ausgebildet. Der Lehrgang dauert ein Jahr.

Die Polizeibehörde ist mir in jeder Hinsicht entgegen gekommen. Sie hat mir angeboten ein Jahr später, oder auch zwei Jahre später nach Hiltrup zu gehen. Ich habe keinen Moment lang daran gezweifelt, dass ich das Kind bekomme. Ich hätte den Lehrgang auch abgebrochen. Das entscheidende Votum kam von meinem Mann. Er hat gesagt: Kein Thema. Ich bleibe zu Hause. Acht Wochen nach der Geburt bin ich nach Hiltrup gegangen.

Das war bestimmt hart.

Hart ist kein Ausdruck. 12 von insgesamt 231 Lehrgangsteilnehmern waren Frauen. Die Kolleginnen haben vor mir alle den Hut gezogen. Anders die Männer. Einige haben mir vorgeworfen, eine Rabenmutter zu sein. Das hat mir gerade noch gefehlt. Wenn man sein Baby verlassen muss, ist man sowieso schon im Ausnahmezustand. Der Lehrgang war auch kein Lehrgang, den man einfach so aus dem Ärmel schüttelt.

Waren Sie kurz davor hinzuschmeißen?

Nein. Wenn ich mir etwas vornehme, ziehe ich es durch. Mein Mann hat es ja wunderbar gemacht. Er liebt Kinder. An den Wochenenden und zwischen den Klausuren bin ich immer nach Berlin gefahren. Ich war auch sehr oft krank. In der Zeit hatte ich dreimal Angina.

Sie haben die Entscheidung nie bereut?

Nein. Wer weiß, ob ich später noch nach Hiltrup gegangen wäre. Ein Kleinkind reagiert ganz anders auf eine Trennung als ein Säugling. Unserem Sohn hat es überhaupt nicht geschadet. Damit, dass er zuerst Papa und nicht Mama gesagt hat, musste ich leben. Aber die innere Nabelschnur war immer da. Und dazu hat er ein ganz tolles Verhältnis zu seinem Vater.

„Natürlich war ich bei den Razzien dabei. Dass eine Frau die Leitung hatte, war den Zuhältern ziemlich unheimlich. Dementsprechend waren ihre Bemerkungen. Den Großzuhälter haben wir ins Gefängnis bringen können“

Gelingt es Ihnen heute besser, Beruf und Familienleben zu vereinbaren?

Unser Sohn ist mittlerweile elf. Da ist vieles einfacher. Mein Vorteil ist, dass ich einen Mann habe, der sich kümmert. Ansonsten geht es nur, wenn man seine eigene Person zurückstellt. Wenn ich spät am Nachmittag oder abends nach Hause komme, bin ich erstmal hundertprozentig für mein Kind da. Da bleibt nicht viel Zeit für mich selbst. Aber das ist in Ordnung. Mein Mann geht Einkaufen, fürs Kochen bin ich zuständig. Ich nehme oft Akten mit nach Hause, aber die lese ich erst, wenn der Junge im Bett ist. An den Wochenenden unternehmen wir viel. Ich bin der absolute Museumsfan. Gott sei Dank mein Sohn auch.

Ein zweites Kind war nicht geplant?

Ich hatte eine furchtbare Geburt. Mein Sohn und ich wären dabei fast gestorben. Das wollte ich nicht noch mal durchmachen.

Sie sind jetzt seit einem Jahr Landespräventionsbeauftragte der Polizei. Ihr Amtsantritt fällt damit zusammen, dass die Jugendgewaltkriminalität erstmals seit 1998 sinkt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Jugendämtern hat sich bewährt. Von den 380 jugendlichen und heranwachsenden Intensivtätern, die uns bekannt sind, sind 80 Prozent nichtdeutscher Herkunft. Man kann nur präventiv einwirken, wenn man die genauen Ursachen kennt. Die Landeskommission gegen Gewalt hat deshalb eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der Vertreter aus allen Teilen der Gesellschaft sitzen: Sozialarbeiter, Lehrer, Angehörige der arabischen, türkischen und exjugoslawischen Communities. Ich vertrete dort die Polizei. Das sind hochspannende Sitzungen.

Sie kennen viele Lebensläufe von Intensivtätern. Berührt Sie das?

Sehr. Unlängst habe ich mich mit einem 13-Jährigen unterhalten, der schwerst gewalttätig war. Sein Vater ist Armenier, die Mutter, glaube ich, Russin. Als der Junge ein Jahr alt war, ist seine Mutter für immer weg. Der Vater ist schweren Depressionen verfallen, hat den ganzen Tag vor dem Fernseher gelegen und sich Hardcore-Pornos angesehen. Das Kind hat daneben gesessen. Der Mann ist nie mit ihm raus, und hat ihm auch sonst keine Liebe gegeben. Ich habe den Jungen gefragt, was er mal werden möchte. Pornostar, war die Antwort.

Wie lautet Ihr Fazit?

Kein Kind kommt böse auf die Welt. Das wird aus ihnen gemacht. An den Eltern wird mir zu wenig Kritik geübt. Die müssen mehr ran.

Interessiert sich Ihr Sohn eigentlich für Ihre Arbeit?

Absolut. Er ist in allen Themen fit. Als ich beim Tatort-Erkennungsdienst war, war er der beste Spurensicherer der Welt, ist doch klar. Jetzt lebt er mit mir zusammen in der Prävention. Er testet alles, was wir hier machen. Zum Bespiel das neue Computerspiel für Kinder. Es geht darum, wie man sich bei alltäglichen Gewaltsituationen verhält. Wenn ich ihm bei den Schularbeiten mal mit dem Finger in den Rücken piekse, kommt prompt zurück: Reden ist angesagt. Gewalt ist keine Lösung.