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Archiv-Artikel

Willkommen in Solanien

Ab heute verhandeln Vertreter des Kosovo und Serbiens darüber, ob das UN-Protektorat unabhängig wird. Die USA haben dabei eine klare Linie. Die EU einmal mehr nicht

Während der Krieg in Bosnien beendet ist, kann der Kosovokrieg jederzeit wieder aufflammen

Die prominenten Referenten beim Hearing des US-Senatskomitees für Auswärtige Beziehungen fanden deutliche Worte. „Ich kann mir keinen anderen Endstatus für das Kosovo vorstellen als die Unabhängigkeit“, verkündete Richard Holbrooke, vor zehn Jahren Chefunterhändler der Vereinigten Staaten bei den Bosnien-Friedensverhandlungen von Dayton. Nicholas Burns, Unterstaatssekretär im Außenministerium von Condoleezza Rice, sprach sich bei der Zusammenkunft im November ebenfalls für die endgültige Sezession des UN-Protektorats von Serbien aus – wenn auch nicht ganz so bedingungslos wie der „Architekt von Dayton“. Er hätte der kosovo-albanischen Führung bei seinen Besuchen „klar gemacht“, so Burns, „dass sie sich die Unabhängigkeit verdienen müssen“.

Das Ziel der US-Administration zum Start der Kosovo-Statusgespräche ist klar: Sechseinhalb Jahre nach dem Einzug von 50.000 Nato-Soldaten und tausenden von zivilen Mitarbeitern der Übergangsadministration der Vereinten Nationen im Kosovo (Unmik) soll die zu 80 Prozent albanisch besiedelte, laut Sicherheitsratsresolution 1244 von Juni 1999 zur damaligen Bundesrepublik Jugoslawien (heute: Serbien und Montenegro) gehörende Provinz souverän und selbstständig werden. Ein beherzter Anspruch, für Burns untrennbar mit der Führungsrolle der USA im eben erst angelaufenen Verhandlungsprozess verbunden.

In Europa ist man da weit zurückhaltender. „Als EU-Vorsitz wird Österreich bemüht sein, seinen Beitrag für eine verstärkte Rolle der Europäischen Union im Kosovo zu leisten“, heißt es im Programm der österreichischen Ratspräsidentschaft knapp. Völkerrechtlich kaum greifbar auch die jüngsten „Schlussfolgerungen zum Westbalkan“ der EU-Außenminister: „Die Klärung des zukünftigen Status des Kosovo muss sowohl Belgrad wie Priština erlauben, Fortschritte auf dem Weg in die Europäische Union zu machen.“

Phrasen, die man in Südosteuropa zur Genüge kennt, seitdem EU-Außenpolitikchef Javier Solana nach Ende des Kosovo-Krieges die Gestaltungshoheit über die EU-Westbalkanpolitik an sich riss. Weil in Serbien und Montenegro kaum einer den von ihm erdachten „Twin Track Approach“ zur Annäherung des Zwittergebildes aus Bundesstaat und Staatenbund an die EU versteht, nennen die Bewohner ihr Land nun trotzig „Solanien“.

Aber wen schert das schon in Brüssel? „Es wäre verkehrt, nur über die Frage Staat oder nicht Staat zu reden“, erklärte Stefan Lehne, im November von Solana zum Vertreter der Europäischen Union im internationalen Kosovo-Verhandlungsteam ernannt, lakonisch bei seinem Amtsantritt. Und: Man dürfe „nicht mit dem Ende der Verhandlungen anfangen“.

Doch womit dann? In der EU weiß das offenbar selbst keiner so genau. Janez Drnovšek, Präsident der exjugoslawischen Teilrepublik und des heutigen EU-Mitgliedsstaats Slowenien, plädierte im Oktober für die Unabhängigkeit, der tschechische Premierminister Jiří Paroubek vier Wochen später für die Teilung des UN-Protektorats. „EU geteilt über künftigen Status des Kosovo“ auch der Titel eines Berichts im EU Observer. Als „Kakophonie von Meinungen“ fasste darin ein Diplomat die Brüsseler Kosovo-Politik zusammen.

Sowohl als auch, nichts Halbes und nichts Ganzes: Wie ein roter Faden zieht sich der Unwille zur eindeutigen Positionierung durch die Geschichte der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp) der Union für den Balkan, die am Vorabend der jugoslawischen Sezessionskriege auf ihrem Gründungsgipfel in Maastricht ersonnen wurde. Fast schon peinlich die Proteste aufgebrachter Europaparlamentarier in Priština 2004, die dazu führten, dass im Empfangszimmer des Kosovo-Präsidenten heute das bei ihrem Besuch noch fehlende blaue Banner der Europäischen Union neben den Fahnen von Nato und USA hängt.

Von einer eigenständigen Südosteuropa-Politik der Europäischen Union kannkeine Rede sein

Das vermeintliche Versprechen aus den „Guiding Principles“ der Balkan-Kontaktgruppe, das Kosovo bald als eigenständiges Subjekt im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP) der Union zu behandeln, klingt vor diesem Hintergrund fast wie eine Drohung. Denn selbst da, wo EU-Rat und EU-Kommission Machtansprüche im Kosovo anmelden, spricht die Praxis der vergangenen Jahre auf dem Balkan gegen eine Ablösung von UN oder Nato durch entsprechende europäische Institutionen.

Beispiel Polizei: Obwohl die EU-Polizeimission in Bosnien-Herzegowina (EUPM) seit ihrem Beginn wegen mangelnder Kompetenzen als „Mickymaus-Mission“ verspottet wurde, gilt die erste EU-Operation unter dem Dach ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik als Vorbild für eine Übernahme der Unmik-Ordnungsmacht im Kosovo. Beispiel Militär: Den Kleinkrieg zwischen makedonischen Regierungstruppen und der albanischen Separatistenguerilla UÇK beendete 2001 die Nato, ehe die EU-Mini-Mission „Concordia“ ein halbes Jahr später, als der heiße Konflikt vorbei war, mit ein paar hundert Mann in Skopje und Tetovo einrückte.

Im Krisenfall auf Nato-Unterstützung angewiesen bleibt auch die im Dezember 2004 nach Bosnien-Herzegowina entsandte europäische Streitmacht Eufor. Von einer eigenständigen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) der Europäischen Union in Südosteuropa kann also keine Rede sein – was ihre Verfechter nicht davon abhält, immer wieder die Übernahme der Nato-geführten Kosovo-Schutztruppe Kfor durch EU-Einheiten ins Spiel zu bringen.

Wohlfeile Rhetorik aber wird dem EU-Verhandlungsvertreter Lehne während der anstehenden langen Monate der Pendeldiplomatie wenig nutzen. Daran erinnerte auch Washingtons Ex-Bosnienunterhändler Holbrooke vor dem Senatsausschuss – und schickte eine Warnung hinterher: „Während der Krieg in Bosnien beendet ist und nicht wieder ausbrechen wird, gilt das für das Kosovo nicht: Der Krieg dort kann jederzeit wieder aufflammen.“

Tote wie bei den antiserbischen Pogromen im Kosovo im März 2004 zu verhindern dürfte im besten Interesse der bedrängten US-Regierung unter George W. Bush liegen. Zudem hat die Bush-Administration noch einen Grund, den Kosovo-Albanern endlich die lange ersehnte Unabhängigkeit zuzugestehen: Was könnte enttäuschte Republikaner vor den Kongresswahlen im kommenden November mehr von der Richtigkeit der Außenpolitik der derzeitigen Regierung der Vereinigten Staaten überzeugen als die Übergabe der Regierungsgeschäfte an die dankbaren Repräsentanten eines unabhängigen Staates?

Das erklärte Ziel der USA zum Start der Kosovo-Statusgespräche ist die Unabhängigkeit der Provinz

Immerhin: Dafür, dass bei der Unabhängigkeitsfeier auch die Fahne der EU nicht fehlt, werden die sonst an Statusfragen so wenig interessierten Brüsseler Balkan-Strategen sicherlich sorgen.

MARKUS BICKEL