: Israel spricht von einer „Terrorbehörde“
Die Regierung in Jerusalem stoppt Geldtransfer an die Autonomiebehörde und verhängt Reisesperren für Hamas-Mitglieder. Palästinenserpräsident Abbas betraut Hamas mit Regierungsbildung. Ismail Hanija soll neuer Regierungschef werden
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
In den Palästinensergebieten wird fortan eine „Terrorbehörde“ die Regierungsangelegenheiten regeln. Daran besteht zumindest für Israels amtierenden Premierminister Ehud Olmert kein Zweifel mehr, seit mit der Vereidigung der Abgeordneten am Wochenende eine Mehrheit der islamistischen Hamas im palästinensischen Parlament sitzt. Das Kabinett beschloss deshalb gestern ein Maßnahmenpaket zum schrittweisen Abkoppeln von den Palästinensern. Olmert will mit der Autonomiebehörde „unter der Führung der Hamas keine Kontakte unterhalten“. Angefangen wird mit dem Einfrieren der monatlichen Zoll- und Steuergelder, die Israel entsprechend früherer Abkommen für die Autonomiebehörde einkassiert. Außerdem ist Mitgliedern der Hamas die Durchreise durch Israel untersagt.
Die erste Parlamentssitzung nach den palästinensischen Wahlen musste per Videoschaltung zwischen Ramallah und Gaza abgehalten werden, da Israel im Vorfeld Reisesperren signalisierte. Die Sitzung begann mit einem Gebet der Hamas-Vertreter und endete mit einer Grundsatzrede von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der die neuen Abgeordneten an die palästinensische Verpflichtung zu den Osloer Abkommen und dem internationalen Friedensplan Roadmap erinnerte: „Wir haben niemals zugelassen und wir werden es niemals zulassen, dass die Legitimität der Abkommen in Frage gestellt wird.“ Abbas betonte außerdem „die Notwendigkeit einer Öffnung zur Welt“ und rief zu „moderner Erziehung“ sowie „freiem Denken und Kreativität“ auf.
Die Hamas, die bei den Parlamentswahlen Ende Januar die absolute Mehrheit erreichte, benannte gestern offiziell ihren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Wenig überraschend fiel die Wahl auf Ismail Hanija, ehemals Bürochef des vor knapp zwei Jahren von Israel exekutierten Hamas-Gründers Scheich Ahmed Jassin. Hanija gilt als Pragmatiker, da er sich Anfang letzten Jahres für eine befristete Waffenruhe einsetzte.
Hanija bezeichnete die israelischen Reisesperren als „kollektive Strafmaßnahme“, die darauf ausgerichtet sei, die neue palästinensische Führung scheitern zu lassen. Die Maßnahmen seien zudem eine „Fortsetzung der Unterdrückungspolitik“. Noch schärfer reagierte Mahmud al-Sahar von der Hamas-Führung im Gaza-Streifen, der Israel davor warnte, „eine Dummheit“ zu begehen, die wiederum der Hamas „das volle Recht gäbe, sich selbst und das palästinensische Volk zu schützen“.
Berichten der israelischen Tageszeitung Ma’ariw zufolge soll diese Woche eine Delegation unter der Leitung von Hamas-Politchef Khaled Mashaal nach Teheran reisen – in der Hoffnung auf finanzielle Zuwendungen. Die Autonomiebehörde verzeichnet ein monatliches Defizit von rund 100 Millionen Euro. Die Online-Ausgabe der auflagenstärksten Tageszeitung Jediot-Achronot berichtete gestern von trilateralen Gesprächen in Texas, bei denen Möglichkeiten diskutiert worden seien, die US-Finanzzuwendungen an Hamas vorbei dem palästinensischen Volk zukommen zu lassen. Dabei sollen die Zahlungen direkt an die Regionalverwaltungen überwiesen, die wiederum dem Palästinenserpräsidenten unterstehen, nicht der Regierung.
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