„Mit Gelächter von der Bühne verjagen“

Irvings intellektuelle Kontrahenten plädieren mehrheitlich für Widerlegung und Missachtung, nicht für einen Prozess

BERLIN taz ■ Für seine Inhaftierung hätte der englische Holocaust-Leugner David Irving kaum einen besseren Zeitpunkt wählen können: Unter dem Eindruck des Karikaturenstreits und der Repressalien gegen kritische Intellektuelle in der Türkei steht Irvings Verfahren nun ganz im Zeichen der internationalen Debatte um Meinungs- und Pressefreiheit.

In britischen und österreichischen Zeitungen mehren sich zu Prozessbeginn jene Stimmen, die sich für eine Freilassung Irvings einsetzen. Unlängst plädierte der Grazer Soziologe Christian Fleck im Wiener Standard dafür, „Mr. Irving zum Flughafen zu eskortieren und in die nächste Maschine nach London zu setzen und den Fall damit zu beenden, bevor er größeren Schaden anrichten kann“. Keinesfalls dürfe dem pietätlosen Wichtigtuer zu erneuter öffentlicher Aufmerksamkeit verholfen werden. Angemessener sei es zudem, unliebsame Meinungen nicht durch Gefängnis, sondern „durch Widerlegung und – wo nötig – durch Missachtung“ zu strafen.

Der österreichische Jurist Alfred J. Noll jedoch sieht sein Land durch den Staatsvertrag von 1955 unwiderruflich in der Pflicht, das Verbotsgesetz aufrechtzuerhalten. Ausdrücklich würdigt der Professor für öffentliches Recht in der Wiener Presse die Worte des britisch-amerikanischen Aufklärungspublizisten Thomas Paine (1737–1809): „Wer seine eigene Freiheit sichern will, muss selbst seinen Feind vor Unterdrückung schützen.“ Maßgeblicher ist für Noll aber das der NS-Vergangenheit geschuldete Selbstmisstrauen einer demokratischen Öffentlichkeit. Wenn andere Länder die Meinungsfreiheit weniger restriktiv auslegten, illustriere dies eben „die demokratische Überlegenheit Frankreichs und Englands gegenüber der Republik Österreich“.

Damit spielt Noll sicherlich auf den selektiven Verfolgungseifer gegenüber den einheimischen NS-Tätern an. Nach Schätzungen des Simon-Wiesenthal-Zentrums leben in Österreich 47 Kriegsverbrecher unbehelligt auf freiem Fuß, darunter zum Beispiel der kroatische Ustascha-Funktionär Milovoj Asner.

Gegenwartsbezogener argumentiert die Irving-Debatte im englischsprachigen Raum: „Irvings Ansichten sind nicht zu verteidigen; sein Recht darauf, sie zu vertreten, muss verteidigt werden“, schreibt Ben Macintyre mit Verweis auf die UN-Menschenrechtserklärung in der Londoner Times. Ganz entsprechend sei mit der jüngsten Initiative des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad im Karikaturenstreit zu verfahren: „Wenn Holocaust-Leugner jetzt in Teheran zu einer ‚wissenschaftlichen‘ Konferenz über den Holocaust zusammenkommen, sollte man ihnen genau zuhören, ihre Ansichten wissenschaftlich widerlegen und sie dann mit Gelächter von der Bühne verjagen und ihre Behauptungen vergessen.“

Auch prominente Liberale, wie Ralf Dahrendorf oder die amerikanische Holocaust-Forscherin Deborah Lipstadt, fordern jetzt Irvings Freilassung. Ausdrücklich zieht Dahrendorf im Wiener Standard eine Parallele vom österreichischen Verbotsgesetz zu den Grundrechtsbeschränkungen nach dem 11. 9.: „Die Leugnung des Holocaust sollte man ebenso wenig unter Strafe stellen wie die in den Moscheen verbreiteten Attacken gegen den Westen, wie bösartig sie auch immer sein mögen.“

Auf eigene juristische Erfahrungen mit Irving blickt Deborah Lipstadt zurück. Mit einer Verleumdungsklage hatte Irving sie 1994 vor Gericht gezogen, weil sie ihn in einer Publikation als Holocaust-Leugner bezeichnet hatte. Das sechsjährige Verfahren in London, das mit Klageabweisung und Irvings Bankrott endete, hat Lipstadt deutlich ernüchtert: „Historische Debatten sollten in Büchern, Schulen und Universitäten stattfinden. Man braucht schließlich auch keinen Gerichtsbeschluss, um zu entscheiden, ob der Zweite Weltkrieg stattgefunden hat“, sagte sie der taz.

Lipstadt möchte verhindert wissen, dass ausgerechnet Irving sich zum Märtyrer der Meinungsfreiheit hochstilisiert. Er genieße das Recht auf persönlichen Irrtum. Unverdient sei bloß die ihm dabei zuteil werdende öffentliche Aufmerksamkeit: „Lasst Irving einfach von den Radarschirmen verschwinden.“, meint Lipstadt. Doch wie oft gerät gerade diese Komponente westlicher Meinungsfreiheit in Vergessenheit: das vornehme Recht, sich durch Gelächter oder Schweigen einer von unterkomplexen Provokationen bestimmten Diskursebene entziehen zu dürfen. Jan-Hendrik Wulf