: „Hier gibt es ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl“
ENGAGEMENT Ulrich Greiner leitet die Apotheke am Hansaplatz, die zu den Erstbeziehern des Viertels gehört. Im Bürgerverein setzt er sich außerdem für besseren Denkmalschutz und mehr Miteinander ein – und eine Aufnahme des Viertels in die Unesco
■ 55, ist Apotheker, zweiter Vorsitzender des Bürgereins Hansaviertels, der 153 Mitglieder hat, und Leiter der Foto-AG.
INTERVIEW NINA APIN
taz: Herr Greiner, Ihr Bürgerverein Hansaviertel trägt den Slogan „lebendiges Erbe – lebendiges Denkmal“. Wie lebendig ist das Leben im architektonischen Erbe der Nachkriegsmoderne heute?
Ulrich Greiner: Das Interesse an frei werdenden Wohnungen ist riesig. Besonders junge Familien zieht es seit ein paar Jahren wieder hierher – obwohl die eher kleinen Wohnflächen für den heutigen Platzbedarf kaum ausreichen. Aber viele entscheiden sich bewusst dafür, in einer tollen Architektur im Tiergarten zu wohnen, und nehmen dafür ein paar Quadratmeter weniger in Kauf. Immer öfter kommt es auch vor, dass zwei Wohnungen zu einer zusammengelegt werden. Dass das Hansaviertel mit knapp 2.500 Einwohnern heute etwa 1.000 Einwohner weniger hat als 1957, liegt nur am gestiegenen Wohnflächenverbrauch des Einzelnen.
Den Bürgerverein gibt es seit acht Jahren. Welche Rolle spielt er im Viertel?
Wir kümmern uns als Kulturverein hauptsächlich um die Pflege des architektonischen Erbes: Wir organisieren Führungen und Tagungen, wir vertreiben Infomaterial, Pläne und Bücher. Wir achten darauf, dass der Denkmalschutz eingehalten wird, wenn eine energetische Sanierung ansteht. Und wir wollen das Hansaviertel bei der Unesco als Denkmal anmelden: mit den Bauten der Nachkriegsmoderne, dem Corbusierhaus, dem Haus der Kulturen der Welt.
Wie teuer sind die Wohnungen?
Das variiert extrem, genau wie die Eigentümerstruktur: Von der Gewobag bis zur globalen Immobilienholding sind die Häuser in vielen ausschließlich privaten Händen. Während direkt am S-Bahnhof auch viele Sozialmieter wohnen, sind Mehrfamilienhäuser wie das Eternit- oder das Schwedenhaus sehr teuer. Das gilt auch für die Eigentumswohnungen. Dafür interessieren sich zunehmend auch Investoren, die aus der innerstädtischen Lage mit Tiergartenblick das meiste herausholen wollen. Momentan haben wir übrigens noch eine durchmischte Einwohnerstruktur: viele Intellektuelle, immer noch viele Erstbezieher, jetzt im Rentenalter, Familien mit gutem Einkommen, Arbeiter, Sozialmieter. Es ist alles dabei.
Wo schlägt das Herz des Hansaviertels?
Ich würde sagen, in der Bibliothek. Dort treffen sich Jung und Alt, sie ist immer voll. Als es Senatspläne gab, die Hansabibliothek zu schließen, liefen die Leute Sturm. Der Verein organisierte eine Unterschriftenaktion und die Bewohner mobilisierten all ihre Kontakte, um die Schließung zu verhindern – was vorerst geglückt scheint. An den Protesten hat man gemerkt, wie stark das Zusammengehörigkeitsgefühl des Viertels ist. Ein beliebter und relativ neuer Treffpunkt ist auch der Ökomarkt jeden Freitag.
Das eigentliche Zentrum, die Einkaufspassage rund um den U-Bahnhof Hansaplatz, wirkt immer etwas düster, viele Trinker halten sich dort auf. Geht man die Bartningallee weiter, steht dort die Akademie der Künste. Das Publikum ist ein völlig anderes. Hat das Hansaviertel zwei Gesichter?
Der Hansaplatz liegt zwischen Turmstraße und Bahnhof Zoo, die beide eine Trinker-und Drogenszene haben. Auch im Tiergarten gibt es solche Gruppen. Wenn die Nachschub brauchen oder von anderen Plätzen vertrieben werden, bekommen wir Zulauf. Die wenigsten wohnen aber hier. Dass jetzt direkt gegenüber vom Grips Theater ein Spätkauf aufgemacht hat, der rund um die Uhr Alkohol verkauft, ist nicht gerade hilfreich. Der Verein ist dabei, Gespräche zu führen, um die Atmosphäre am Platz wieder zu verbessern. Mit der Akademie der Künste arbeiten wir sehr eng zusammen. Viele Bewohner nutzen sie regelmäßig: zu Ausstellungen oder, wie ich, zum Mittagessen.
In welchem Haus leben Sie? Le Corbusier, Aalto, Gropius?
Ich wohne gar nicht selbst im Hansaviertel. Aber die Apotheke ist schon seit Baubeginn Teil davon. Ich empfinde es als etwas Besonderes, Teil des Hansaviertels zu sein. Als Leiter der Foto-AG im Verein staune ich immer wieder über die Eleganz, die lockere Bebauung, die cleveren Grundrisse – und den spektakulären Blick aus dem Fenster. In den oberen Stockwerken des „Giraffe“-Hochhauses an der Klopstockstraße hat man das Gefühl, direkt im Tiergarten zu sitzen.