: Demokratisch wohnen
ARCHITEKTUR Das Hansaviertel wurde 1953 als architektonisch-ideologisches Gegenprogramm zu NS-Bauten und zur Ostberliner Stalinallee geplant
■ Eine Internationale Bauausstellung (IBA) ist ein Planungs- und Bauinstrument in Deutschland zur Entwicklung des Städtebaus und einer Region. Geplant und realisiert werden sollen Bauwerke und zukunftsweisende Architekturen, Modelle und Projekte im Bereich Wohnen, im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich. Ziel ist es, neue Leitbilder für den baulichen und landschaftlichen Wandel zu schaffen.
■ In Berlin fand 1957 die IBA „Interbau“ zur Errichtung des Hansaviertels im Tiergarten statt. Es war die IBA der Moderne und der internationalen Architektur – ein großes Wiederaufbauprojekt nach dem Krieg und in Abgrenzung zur NS-Architektur und den Bauten des sozialistischen Städtebaus.
■ Modellhaft war Berlins zweite IBA von 1984 bis 1987, die sich mit den Themen der „behutsamen Stadterneuerung“ und „kritischen Rekonstruktion“ im sanierungsbedürftigen Kreuzberg beschäftigte.
■ 1997/99 plante Berlin die IBA „Neue Vorstädte“, die sich mit der Steuerung der Neubauten an der Peripherie beschäftigen sollte. 2002 wurde das Projekt jedoch gestrichen.
■ Gerade abgeblasen wurde auch die IBA „Berlin 2020“, die sich mit der Aufwertung der Großsiedlungen an der Peripherie („Drinnenstadt wird Draußenstadt“) und der Zukunft der großen Brachen und Freiflächen wie der alten Flughäfen Tempelhof oder Tegel auseinandersetzen wollte. (rola)
Es ist keine zehn Jahre her, da hatte das Hansaviertel ganz schlechte Karten. Die Hochhäuser und Zeilenbauten aus den 1950er Jahren bröckelten, der Hansaplatz war sozialer Brennpunkt. Durch die Eröffnung der Akademie der Künste am Pariser Platz geriet das Akademiegebäude im Tiergarten ins Hintertreffen. Das Wohnquartier glich – trotz „Grips Theater“ – einem Rentnerpark: Mehr als ein Drittel der 1.700 Bewohner war älter als 65 Jahre.
Angriffe auf die Modellarchitekturen der Nachkriegsmoderne kamen auch von außen: Hans Stimmann, ehemaliger Senatsbaudirektor, erinnerte 2006 an den rücksichtslosen Abriss des gründerzeitlichen Viertels 1953 zugunsten der seelenlosen Architektur des Neuen Bauens. Die „Interbau“, Berlins Internationale Bauausstellung 1957, sei „kein Leitbild“ in den Traditionen des Berliner Städtebaus. Die locker und kühn im Tiergarten choreografierten Hochhäuser, Wohnriegel, Flachbauten, Gewerbe- und Kultureinrichtungen bildeten „städtebauliche Katastrophen“, sekundierte sogar Hans Christian Müller, selbst Architekt im Hansaviertel 1957. Die Abrissbirne drohte.
Heute, zum 55-jährigen Jubiläum des Hansaviertels, haben sich die Wogen geglättet. Berlin ist dicht bebaut und anstrengende Metropole geworden. Eine Wohnung im Zentrum und noch dazu im größten Garten der Stadt – nur zwei S-Bahnstationen von Hauptbahnhof oder Friedrichstraße entfernt – ist echter Luxus. Das Hansaviertel boomt, rund 2.400 Menschen leben jetzt in den 1.250 Wohnungen. Leerstand, sagen die Immobilienverwaltungen, existiere nicht.
Die Architektur der Nachkriegsmoderne, betont Michael Braun, der bis 2013 Vorstand der Bundesstiftung Baukultur war, erlebe eine „Renaissance“. Die Stadt im Grünen, die sozialen und kulturellen Dimensionen des Hansaviertels bilden für viele Städter heute Alternativen zum innerstädtischen Wohnen im Block.
Für eine bessere Welt
Das Hansaviertel war 1953 als architektonisch-ideologisches Gegenbauprogramm, als die Alternative zur nationalsozialistischen Architektursprache und zur im Osten Berlins 1950 entstandenen Stalinallee aufgelegt worden. Das Motto der „Interbau 1957“ – „eine bessere Welt“ und „die moderne Stadt von morgen“ zu schaffen – unterstrich dies. Baulich und sozial reagierte das große öffentliche Bauvorhaben auf die Wohnungsnot jener Zeit.
Der Modellcharakter der 20 Hektar großen IBA „Interbau 1957“ in der kriegszerstörten Stadt versprach Aufmerksamkeit sowie die Beteiligung renommierter Architekten. „Die Besten der Zeit sollen hier die Gestalt einer neuen europäischen Stadt formen“, lautete der Anspruch des Senats.
Das gelang: Nach zwei Wettbewerben 1954 und 1956 war klar, dass das Quartier aus unregelmäßig angeordneten Ensembles gebaut werden sollte. Um eine Mitte an der Altonaer Straße gruppierten sich vier weitere Zentren. Die Architektur orientierte sich an den Vorstellungen des Neuen Bauens und dem Design aus den 20er Jahren. 49 renommierte Architekten, darunter Oscar Niemeyer, Sep Ruf, Walter Gropius und Egon Eiermann, Alvar Aalto und Hans Schwippert errichteten die 36 schnittigen Bauwerke, darunter schwebende gläserne Riegel wie Pierre Vagos kleine Wohnmaschine an der Händelallee, schicke weiße und bunte Betonskulpturen wie das Taut-Haus oder die Akademie der Künste am Hanseatenweg. 1957 waren die meisten schlanken Gebäude fertig oder im Bau. Berlin hatte sein kleines Brasília.
Die Radikalität dieses Stadtmodells ist bis heute umstritten. Denn sie führt zu der Frage: „Wie legitim ist ein solcher Städtebau?“ Die Antwort geben das Hansaviertel und seine Bewohner derzeit gerne. Es ist akzeptiert, eine Gartenstadt mit coolem Flair und viel Patina, hinter Bäumen versteckt, die jeden Schrecken der „gemordeten Stadt“, wie Wolf Jobst Siedler 1964 schrieb und der anderen Großsiedlungen anhaftet, verloren hat. ROLF LAUTENSCHLÄGER