: Bis die Masse stockt
DAS VERGESSENE REZEPT Sättigungsbeilage – legendär, die Gaststättenpoesie der DDR. Aber Affenfett?
■ 100 g geräucherter Bauchspeck
■ 1 Zwiebel
■ 250 ml Milch
■ 1 Ei
■ 1 TL Mehl, Majoran, Salz, Pfeffer
■ Klein gewürfelten Speck und Zwiebel anbraten, restliche Zutaten verquirlen und in die Pfanne dazugeben, bis die Masse stockt. Das „Affenfett“ warm auf Brotscheiben streichen.
VON PHILIPP MAUSSHARDT
Einmal im Jahr erhielten meine Eltern in der schwäbischen Provinz Besuch aus der DDR. Dann reisten Herr und Frau Roll aus Leipzig in ihrem Westwagen an, einem Citroen GS mit DDR-Plakette, der bei unseren Nachbarn in der Vorstadtsiedlung jedes Mal für großes Aufsehen sorgte. Ein Ossi im Wessi-Auto, das hatten sie noch nicht gesehen. Herr Roll war ein treuer und wahrscheinlich auch sehr inoffizieller SED-Genosse, deshalb durfte er auch ins Ausland reisen. Meine Eltern hatten ihn zufällig auf einer Beerdigung kennengelernt und auf einen Kaffee zu uns nach Hause eingeladen. Von da an kamen er und seine Frau jedes Jahr zu Besuch.
Herr Roll, daran erinnere ich mich noch, lobte jeden Abend, auf unserem Sofa sitzend, die Zustände in der DDR. Mich machte das neugierig, und gerade 18 geworden, setzte ich mich in meinen VW-Käfer und fuhr über die deutsch-deutsche Grenze hinüber in das von Roll gepriesene Schlaraffenland. Rückblickend sind es vor allem die kulinarischen Erlebnisse, die von dieser Reise am stärksten haften blieben. Am Ankunftstag luden mich meine Gastgeber in ein Restaurant, das den schönen Namen „Gastmahl des Meeres“ trug. Am Eingang hing ein Schild: „Hier werden Sie platziert.“ Ein Kellner im schwarzen Anzug, der sich „Gaststättenfacharbeiter“ nannte, führte uns zu einem Tisch, nur um uns dort zu sagen, dass es heute keinen Fisch gebe, dafür aber sehr leckere Fleischgerichte.
Ein anderes Mal bestellte ich eine Roulade, die verheißungsvoll auf der Speisekarte mit „Sättigungsbeilage und Vitamingarnitur“ angekündigt war. Herr Roll erklärte mir, dass mit dem ersten Begriff eine nicht näher genannte Beilage gemeint sei, die sich in diesem Fall als Reis entpuppte. Die „Vitamingarnitur“ bestand aus einer Tomatenscheibe, auf die ein Stängel Petersilie drapiert war. Mir gefiel diese Gaststättenpoesie.
An einem dieser Abende aßen wir zu Hause bei Rolls in der „Zweiraumwohnung“ eines Leipziger Hochhauses. Zuvor war ich zusammen mit Frau Roll einkaufen gewesen, und wir hatten uns in die Schlange vor einer Metzgerei eingereiht, weil es dort „wahrscheinlich frische Mettwürste“ gebe, wie Frau Roll vermutete. Als wir dran waren, gab es aber weder frische noch alte Mettwürste, weshalb Frau Roll zwei dicke Scheiben Bauchspeck kaufte und zu mir sagte: „Dann machen wir heute eben Affenfett.“
Ich hatte inzwischen gelernt, dass man die Wörter in der DDR nicht wörtlich nehmen musste und dass „Affenfett“ mit Sicherheit eines nicht war, nämlich Affenfett. So wie eine „tote Oma“ auch keine tote Oma, sondern eine Grützwurst bedeutete und „Bärenblut“ nur ein ungenießbarer bulgarischer Rotwein war.
Nach dem Abendessen saßen wir noch eine Weile auf dem Sofa der Zweiraumwohnung, dann legten wir uns schlafen. Wobei ich mit Herrn Roll das Ehebett teilte, da seine Frau für die Zeit des „Westbesuchs“ auf das Sofa wechselte, auf dem ihr Mann wenige Minuten zuvor noch die Zustände gelobt hatte. Nach einer Woche fuhr ich zurück. Das Wort „Affenfett“ habe ich seither nie wieder gehört oder auf einer Speisekarte gelesen.
■ Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über vergessene Rezepte
■ Die anderen Autoren: Undine Zimmer kocht mit dem, was im Kühlschrank übrig blieb; die Köchin Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, und der taz-Koch Christoph Esser beantwortet die Fragen der Leser zur Hardware des Kochens – fragdenkoch@taz.de