TIM CASPAR BOEHME LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Die Welt ist nicht genug
Wenn in diesen Tagen von popularisierter Philosophie die Rede ist, dann fällt fast ausnahmslos der Name des Erfolgsautors Richard David Precht. Damit könnte es allmählich ein Ende haben. Oder anders gesagt: Jetzt gibt es endlich wieder einen richtigen Philosophen, der mit dem Gedanken Ernst macht, Philosophie als „öffentliches Geschäft“ zu betreiben, nicht im Sinne von leicht zu konsumierenden Einführungen, sondern zum Verbreiten seiner eigenen Position.
Markus Gabriel, der 2009 mit 29 Jahren an die Universität Bonn berufen und so zum jüngsten Philosophieprofessor Deutschlands wurde, kann als das größte Philosophie-Wunderkind hierzulande seit langem gelten. Der von den Medien mit zunehmender Aufmerksamkeit bedachte Hochschullehrer, der acht (lebende) Sprachen spricht, hat vor kurzem sein fünftes Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ (Ullstein 2013) veröffentlicht, in dem er ein Plädoyer für den „Neuen Realismus“, eine „neue Einstellung zur Welt“, vorträgt.
Im Grunde trockene Erkenntnistheorie, der Gabriel aber nicht nur einen geschickten Dreh verpasst, sondern die er auch so locker vorträgt, wie man es sonst von wenigen seiner Kollegen kennt – wenngleich selbst bei ihm eine Neigung zu gezwungenem akademischem Humor besteht. Zur Veranschaulichung dienen ihm oft Beispiele aus Film und Fernsehen, von Fassbinders „Welt am Draht“ bis hin zu „Stromberg“.
Gabriels These ist so einleuchtend wie einfach: „Die Welt“ als etwas Allumfassendes gibt es nicht, weil sie als Konzept nicht geeignet ist, der Vielfalt dessen, was existiert, gerecht zu werden. Zu seinen Hauptgegnern gehören dabei die Vertreter eines „wissenschaftlichen Weltbilds“, die die Welt auf den Gegenstandsbereich der physikalischen Phänomene reduzieren. Stephen Hawking etwa bekommt von Gabriel kurzerhand mitgeteilt, er habe schlicht nicht verstanden, wovon Philosophen reden, wenn sie den Begriff der Welt verwenden.
Ohnehin geht Gabriel gern mit reichlich Selbstbewusstsein auf Platzhirsche wie Habermas oder Kant los, denen er genüsslich Fehler und Versäumnisse ankreidet. Ein Buch, bei dem man sich freuen kann, dass es vergangene Woche in der Spiegel-Bestsellerliste auftauchte.
■ Der Autor ist ständiger Mitarbeiter der Kulturredaktion
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