: Wie die Legende Franz Kafka nach Istanbul kam
MAMMUTAUFGABE Noch vor der englischen ist die türkische Übersetzung von Reiner Stachs Kafka-Biografie fertig geworden. Wie kam’s?
Der Saal des Goethe-Instituts in Istanbul ist gerammelt voll, als der Schweizer Verleger Egon Ammann zu einem hohen Lob auf die Kafka-Biografie von Reiner Stach ansetzt, die dieser Tage in der Türkei vorgestellt wird. Nach Wochen des Ausnahmezustands wegen der Proteste um den Gezipark normalisiert sich der Kulturbetrieb in Istanbul wieder. Kurz vor der Präsentation sind die beiden bislang erschienenen Bände, „Die Jahre der Entscheidungen“ und „Die Jahre der Erkenntnis“, in türkischer Übersetzung fertig geworden. Zwei dicke Brocken literarisches Sachbuch, von der Kritik hochgelobt, aber eine Herausforderung für jeden Übersetzer. Türkisch ist noch vor dem Englischen die erste Fremdsprache, in die die Werke übertragen wurden.
In Istanbul erledigte diese Mammutaufgabe die Übersetzerin Sezer Duru, die im Goethe-Institut das Werk gemeinsam mit Reiner Stach vorstellt. Sie ist die Grande Dame der deutschen Literatur in der Türkei. Nicht nur als Übersetzerin, sondern auch als Herausgeberin des Übersetzungsprojekts „Adimlar – Schritte“ der S. Fischer Stiftung. Gemeinsam mit Egon Ammann, der in Berlin im Kuratorium der Stiftung sitzt, hat sie seit 2006 bereits mehr als 50 deutschsprachige Bücher ausgewählt, übersetzen lassen oder auch einmal selbst übersetzt und in Kooperation mit türkischen Verlagen auf den Markt gebracht.
„Die Kafka-Biografie ist die Krönung unserer bisherigen Arbeit“, meint Egon Ammann, doch auch die anderen Werke können sich durchaus sehen lassen. Darunter sind Schmuckstücke deutscher Belletristik von Edgar Hilsenrath, Thomas Brussig, Jenny Erpenbeck, Julia Franck, Robert Walser und Monika Maron, aber auch wichtige Sachbücher von Ernst Bloch, Dan Diner, Jürgen Habermas und Wolfgang Sofsky – und nicht zuletzt Kinder- und Jugendbücher wie „Bobo der Siebenschläfer“, die schon jüngere Semester an deutsche Literatur heranführen.
„Am Anfang“, erzählt Sezer Duru, „habe ich die meisten Bücher ausgesucht und den Verlagen in Istanbul vorgeschlagen, aber mittlerweile bekommen wir so viele Anfragen von den Verlagen, dass wir längst nicht mehr alle berücksichtigen können.“ Damit hat das „nachfrageorientierte“ Projekt, wie die Geschäftsführerin der Stiftung, Antje Contius, ihre Übersetzerprojekte nennt, in der Türkei ein wichtiges Ziel erreicht. Die Nachfrage ist hoch: „Das Projekt macht Spaß, und wir wollen es möglichst lange fortsetzen“.
Die S. Fischer Stiftung entstand 2002 als private Stiftung der Verlegerin des Fischer Verlages, Monika Schoeller. Die Verlegerin aus der Holtzbrinck-Dynastie hat die Geschäftsführung des Fischer Verlages mittlerweile in jüngere Hände übergeben und widmet sich nun unter anderem ihrer Stiftung. „So um 2006“, berichtet Antje Contius, „hat unsere Stifterin vorgeschlagen, wir sollten doch einmal schauen, ob es nicht sinnvoll ist, Übersetzungen deutscher Literatur für die Türkei zu unterstützen. Das war zwei Jahre bevor die Türkei Schwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse wurde. Wir haben dann in Istanbul als Partnerin Sezer Duru gefunden und sind sehr glücklich mit der Zusammenarbeit“. Sezer Duru muss noch heute lachen, wenn sie sich daran erinnert, wie es dazu kam. „Die Vertreter der Fischer Stiftung kamen mit einer langen Liste von möglichen Mitarbeitern und einem großen Katalog von Tätigkeiten, die alle zu dem Job als Herausgeberin für ihre Reihe dazugehören sollten, in die Türkei. Mit mir sprachen sie zuletzt. Als sie fertig waren, sagte ich nur: Nun, ich bin die Person, die ihr sucht. Sie waren erst erstaunt, haben dann aber schnell mein Angebot akzeptiert.“
Tatsächlich lässt sich kaum eine bessere Stiftungsvertreterin in der Türkei vorstellen, hat sich Duru doch seit ihren jüngsten Jahren mit der deutschsprachigen Literatur beschäftigt. Bevor sie sich ganz der Literatur widmete, arbeitete Duru als Kulturjournalistin. Schon lange bevor durch die Gezipark-Proteste die katastrophale Situation der türkischen Medien offensichtlich wurde, hatte sie sich wegen der zunehmenden Eindimensionalität der Presse aus dem Job zurückgezogen. „Auf den Kulturseiten der türkischen Zeitungen war kein Platz mehr für meine anarchistischen und sozialistischen Ideen“, sagt sie.
Als unabhängige Autorin, Übersetzerin und Journalistin war Sezer Duru schon lange eine der bekanntesten Frauen im deutsch-türkischen Literaturbetrieb, als die Fischer Stiftung auf sie zukam. Sie übersetzte unter anderem Max Frisch, Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Hans Magnus Enzensberger und Bertolt Brecht. Als Absolventin des Österreichischen Gymnasiums in Istanbul gehört ihre Leidenschaft jedoch neben Kafka vor allem Thomas Bernhard. Sie hat mittlerweile alle Hauptwerke des Schriftstellers und Dramatikers ins Türkische übertragen. „Ich habe Thomas Bernhard in der Türkei bekannt gemacht, lange Jahre ohne jede Unterstützung.“
Umso mehr freut sie sich jetzt, dass mit dem Geld der Fischer Stiftung gute Übersetzungen ermöglicht werden. „Wir kaufen die Rechte und bezahlen die Übersetzung, die Verlage müssen die Bücher dann nur noch drucken und vertreiben.“ Ein Angebot, um das sich mittlerweile fast alle türkischen Verlage reißen.
Vor allem für die ÜbersetzerInnen ist das Engagement der Fischer Stiftung ein Segen. Obwohl ein großer Teil aller Neuerscheinungen in den türkischen Buchläden Übersetzungen sind, werden ÜbersetzerInnen unterbezahlt, was sich auch an der Qualität bemerkbar macht. Die Fischer Stiftung macht direkte Verträge mit den ÜbersetzerInnen, sodass sie ihr Honorar ohne Umweg über einen Verlag bekommen. „Die Übersetzer“, sagt auch Antje Contius, „haben einen großen Anteil am Kulturaustausch, der oft ja gar nicht gewürdigt wird. Wir sponsern deshalb neben der Türkei auch Übersetzungen deutschsprachiger Bücher in Polen und seit Neuestem auch auf dem Balkan.“
Sezer Duru freut sich schon darauf, demnächst von Reiner Stach den dritten und letzten Band seiner Kafka-Biografie geliefert zu bekommen. „Die beiden ersten Bände sind hier hervorragend angekommen“, sagt sie. „Kafka ist in der Türkei eine Legende.“ JÜRGEN GOTTSCHLICH