: Beseelte Dinge
GEBRAUCHSGEGENSTÄNDE Was lange währt, wird endlich Form: die Ausstellung „Katachi – Die leise Form aus Japan“ im Bauhaus-Archiv
VON RONALD BERG
Natürlich isst man nicht nur in Japan mit Stäbchen. Während aber etwa in China die Essstäbchen wahllos an die Esser verteilt werden, hat in Japan jedes Familienmitglied seine eigenen Stäbchen, die kein anderer benutzt. Sollte einmal Besuch kommen, werden ihm ein Paar Einmalstäbchen aus Holz gereicht. Fremde Essstäbchen zu verwenden ist in Japan undenkbar.
Die Stäbchen sind deshalb markiert, oder sie sind gleich ganz individuell gestaltet. Im Bauhaus-Archiv kann man jetzt eine ganze Reihe solch unterschiedlich gestalteter Stäbchen studieren. Manche am Griffende gedreht, manche fein einander angepasst, manche dagegen roh geschnitzt, dass noch der Ast erkennbar bleibt, aus dem sie stammen. So unterschiedlich dieses an sich schlichte, aber unentbehrliche Utensil ausfällt, werden doch alle Stäbchen aus Holz oder Bambus gemacht. In Korea, so berichtet Miki Shimokawa mit schmerzverzerrtem Gesicht, würden sogar Stäbchen aus Metall verwendet. Das können – und wollen – sich Japaner lieber gar nicht vorstellen.
Die in Deutschland lebende Japanerin ist Kuratorin von „Katachi – Die leise Form aus Japan“. Mit ihrer Ausstellung im Bauhaus-Archiv will sie zeigen, was unter japanischer Ästhetik zu verstehen ist. Anders als in der Fassung des Frankfurter Museums für Angewandte Kunst vom Sommer 2007 hat Shimokawa sich in Berlin ganz auf die lebendige Tradition konzentriert und auf technisches Gerät diesmal verzichtet.
Der Begriff Katachi für „Form, Gestalt und Figur“ trifft das Anliegen der Japanerin sehr gut, denn in dem Wort schwingt auch der – manchmal rituelle – Umgang mit den Dingen mit. Kata sind stilisierte Formen (auch Handlungsformen), die durch die Tradition zur Perfektion getrieben wurden. Die über 100 Gebrauchsobjekte aus Holz, Metall, Lack, Keramik oder Papier im Bauhaus-Archiv sind durchaus moderne Erzeugnisse – allerdings überwiegend in Manufakturen und kleineren Werkstätten entstanden. Diese Alltagsdinge wurden nach Regeln und Techniken hergestellt, die oft jahrhundertealt sind. Und was eine lange Tradition hat, das ist für Japaner eben einfach gut.
Da wären zum Beispiel drei große Nägel. Obwohl erst jüngst entstanden, sind diese Objekte genauso handgeschmiedet wie ihre tausend Jahre alten Vorläufer, die man am ältesten Holzgebäude Japans fand. Die etwa handgroßen Gebilde nehmen sich in ihrer Holzbox auch eher wie Kunstgebilde aus, schimmernd, kunstvoll gemasert und mit individuell geformten Kopfenden.
Schönheit und Geister
Dinge und gar Handwerkszeuge werden in Japan mit größter Wertschätzung, ja Verehrung behandelt. Der Ursprung dieser Haltung liegt in der Vorstellung, dass auch Dinge, genauso wie Personen, beseelt sein können. Zwischen natürlichen Dingen und menschengemachten besteht prinzipiell kein Unterschied. Der Gebrauch und die Verehrung, die Dingen gegenüber eingenommen wird, könnte sie zum Wohnort von Geistern machen, so wie Schönheit ein Zeichen göttlicher Beseelung ist.
Diese magische Vorstellung wurzelt im Shinto, der japanischen Nationalreligion, und führt zu einer für westliche Verhältnisse ungewohnten Einstellung zu den Dingen. So sieht man in der Ausstellung eine schlicht zylindrische Teedose aus Kupfer. Die Dose glänzt neu, aber der Hersteller präsentiert normalerweise auf Messen immer auch ein drei Jahre altes und gebrauchtes Musterstück, weil erst dann das Material seine dunkel schimmernde Patina hat. Solche Teedosen sind mitunter ein Jahrhundert in Gebrauch.
Die Schlichtheit der Formen in Japan erinnert tatsächlich an das Design der klassischen Moderne – an „Bauhausstil“. Hinsichtlich der Funktionalität treffen sich hier die beiden Welten. Lackgeschirr, das wie ein Baukasten zusammengesteckt werden kann, ist platzsparend, was in den kleinen Wohnungen Japans von Vorteil ist. Der Bauhäusler Wilhelm Wagenfeld hatte ein ähnliches Prinzip einst für stapelbare Glasbehälter benutzt. Man sollte sich aber durch die Ähnlichkeit der Form nicht täuschen lassen. Schlichtheit und Reinheit in der Gestaltung haben in Japan eine längere Tradition und sind letztlich religiös motiviert. Reinheit ist im Shinto oberstes Prinzip und der „richtige“ Umgang mit den alltäglichen Dingen im Zen-Buddhismus schon der Weg zur Erleuchtung.
Nachdem Japan lange westliche Vorbilder kopierte, besinne es sich, so Shimokawa, jetzt wieder auf eigene Werte. Tradition und Innovation schließen sich dabei nicht aus. So gab es schon Holzschuhe mit der Zehentrennung, die Geta, lange bevor die Flipflops Mode wurden.
Es gebe Anzeichen für eine Besinnung auf die Essenz der Dinge auch im Westen, meinte zur Eröffnung der Ausstellung auch Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archivs. Vielleicht hatte hier die ökonomische Krise eine kathartische Wirkung? Japans Ästhetik der Gebrauchsform taugte als Vorbild einer neuen Bescheidenheit durchaus.
■ Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14. Bis 2. Mai 2010, Mi.–Mo. 10–17 Uhr. www.bauhaus.de