„Wir lassen uns nicht wieder erpressen“

Tarifkonflikt im Telefonwerk: Siemens-Betriebsrat Michael Stahl über den Kampf gegen die 40-Stunden-Woche

taz: Sie wollen bei Siemens Bocholt wieder weg von der 40-Stunden-Woche. Warum?Michael Stahl: Der Ergänzungstarifvertrag läuft im April aus und wir wollen wieder Schritte Richtung Flächentarifvertrag machen. Dazu gehört auch das Thema Arbeitszeit. Das ist unser Ziel.

Was hat sich seit 2004 verändert, als Sie dem bundesweit beachteten „Bocholter Modell“ zugestimmt haben?Wir haben jetzt eine andere Situation. Es gab damals eine klare Drohung von Siemens, die Bocholter Service-Abteilung nach Ungarn zu verlagern, wenn wir dem Paket der Unternehmensleitung nicht zustimmen. Das war sehr kurzfristig.

Haben Sie sich damals überrumpeln lassen?Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Hinzu kam, dass wir in ein Boot geworfen wurden mit dem Siemens Handywerk in Kamp-Lintfort. Das dortige Werk gehört mittlerweile nicht mehr zu Siemens. Und der Standort Bocholt allein war niemals defizitär. Darauf werden wir in den Verhandlungen hinweisen. Noch einmal lassen wir uns nicht erpressen.

Siemens hat das „Bocholter Modell“ von 2004 als Erfolgsmodell bezeichnet. Warum wollen die Beschäftigten es jetzt dennoch wieder kippen?Ein Erfolgsmodell war das nur für den damaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Das war als Abschlußcoup angelegt. Da wollte sich jemand kurz vor der Rente ein kleines Denkmal setzen.

Welche Erfahrungen haben die Siemens-Arbeiter in Bocholt mit der 40-Stunden-Woche gemacht?Die Arbeitszeitverlängerung bei gleichzeitigen Lohneinbußen ist nicht weiter hinnehmbar. Wir haben hier viele Kolleginnen und Kollegen, die sich ein Häuschen gebaut haben mit ihrer Familie. Wegen der Einkommensverluste konnten nicht wenige ihre Raten nicht mehr zahlen und mussten ihr Eigenheim wieder versteigern. Das war starker Tobak, das kann nicht so weiter gehen.

Das „Bocholter Modell“ wurde als Dammbruch für die 40-Stunden-Woche wahrgenommen. Jetzt streikt Ver.di gegen Arbeitszeitverlängerungen und Sie wollen zurück zum Flächentarifvertrag.Es geht auch um die Konjunktur. Wir werden keinen Wirtschaftsaufschwung erleben, wenn die Beschäftigten keine Kaufkraft haben. Wir fordern mehr Geld und eine Zukunftsperspektive für unser Werk.

INTERVIEW: MARTIN TEIGELER