Grundrechte für Gestrauchelte

Ex-Oberlandesgerichtspräsident und Gefangenenhelfer Dietrich Mett warnt davor, Justizsenator Roger Kusch (CDU) Gesetzeskompetenz für den Strafvollzug zu übertragen

Roger Kusch gerät weiter ins Abseits: Die Ankündigungen des CDU-Justizsenators, nach einer Föderalismusreform im Bund das hamburgische Strafvollzugsgesetz zu verschärfen, lösen immer mehr Reaktionen aus. Nach der Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten hat nun der Vorsitzende des „Forum Hamburger Straffälligenhilfe“, Dietrich Mett, an Bürgermeister Ole von Beust (CDU) appelliert, Kusch zur Räson zu bringen, „damit die humane Strafrechtspflege keinen Schaden nimmt und droht, weiter zu einem unmenschlichen Repressionsapparat zu verkommen“.

Dietrich Mett war von 1993 bis 2001 Präsident des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, zuvor Leiter des Strafvollzugsamtes in der Hamburger Justizbehörde und ehrenamtlich beim „Fürsorgeverein“ der Gefangenenhilfe engagiert. In Hamburg müssten die Organisationen der Gefangenenhilfe zusehends die Erfahrung machen, beklagt Mett, dass die „vom Strafvollzug während des Freiheitsentzugs zu leistende Integrationsarbeit durch Vollzugslockerungen, Vorbereitungen auf Therapien und Entlassung fast völlig zum Erliegen gekommen ist“.

Vorbereitungen auf die Freiheit fänden kaum noch statt, so Mett, Straftäter würden unvorbereitet in ihr soziales Umfeld zurückgeschickt, so dass es trotz langer Haftstrafen „immer öfter zu schrecklichen Rückfalltaten“ komme. „In den meisten Fällen hat die soziale Begleitung gefehlt, die zur Krisenintervention unverzichtbar ist“, moniert Mett.

Mett selbst habe als Richter, Amtsleiter und Gefangenenhelfer jahrelang bei „engstem Kontakt mit Straftätern“ die Erfahrung gemacht, „dass jeder von ihnen auch positive menschliche Eigenschaften“ hatte, „die nur verkümmert oder nicht lebensbestimmend werden konnten“. Diese Erfahrung entspreche auch „kriminologischen Erkenntnissen“ seit den 50er Jahren, die 1976 im Strafvollzugsgesetz mündeten, „dass die Chance der Reintegration Straffälliger von der Intensität der begleitenden Führung und Aufsicht abhängt, und dies schon während des Vollzuges“, so Mett.

„Herr Dr. Kusch scheint sich um derartige wissenschaftliche Grundlagen der modernen Strafrechtspflege nicht zu kümmern“, schreibt Mett. Für ihn ist unbegreiflich, „dass 50 Jahre danach ein amtierender Justizsenator alle gewonnenen Erkenntnisse leugnet und auf generalpräventive Maßnahmen abstellt“.

Deshalb warnt Mett von Beust davor, Kusch eine Generalvollmacht zu geben. „Es wäre zu befürchten“, so der Ex-Oberrichter, dass unter seiner Federführung ein Gesetzentwurf vorgelegt werde, der den Vollzugsanordnungen der 50er Jahre eher entspreche „als einem modernen Gesetz, das auch gestrauchelten Mitbürgern die Grundrechte uneingeschränkt zuerkennt“.

KAI VON APPEN