: Fliegen notwendig, leben nicht
Die Sonderausstellung „Einsteins Schwestern“ im Deutschen Technikmuseum zeigt, was Frauen in den von Männern dominierten Wissenschaften und Berufen erreichen können – vorausgesetzt, sie organisieren sich in ihrem Lerneifer selbst
VON WIEBKE POROMBKA
So kompromisslos wie sie hat sich wohl kaum ein Mann der modernen Technik verschrieben. Melli Beese, Jahrgang 1886, ist die erste deutsche Frau, die eine Prüfung zur „Flugzeugführerin“ ablegt. Da ist sie gerade 25 Jahre alt, und hinter ihr liegt ein zäher Kampf gegen männliche Vorurteile und Schikanen. Mehr als ein Fluglehrer hat sich geweigert, eine Schülerin anzunehmen. Bei ihrer ersten Flugprüfung sabotieren Konkurrenten ihren Benzintank. Nicht zuletzt deshalb gründet sie 1912 eine eigene Flugschule und arbeitet erfolgreich als Flugzeugkonstrukteurin.
Ihre Flugträume erledigen sich dann ganz anders: Als sie 1925 den Absturz mit einem Flugzeug neuerer Bauart mit Glück überlebt, nimmt sich die finanziell und gesundheitlich zerrüttete Beese das Leben. Auf einem Zettel notiert sie zuvor: „Fliegen ist notwendig. Leben nicht.“
Mit welcher Dynamik Frauen und Technik verbunden sind, will die Plakatausstellung „Einsteins Schwestern“ vorführen, die im „Spectrum“, der Nebenstelle des Deutschen Technikmuseums, zu sehen ist. In Kurzbiografien werden hier neunzehn Frauen aus drei Jahrhunderten vorgestellt, die auf dem Gebiet von Naturwissenschaft und Technik Außergewöhnliches geleistet haben. Die Pilotin und Flugzeugtechnikerin Melli Beese ist eine von ihnen. Mit Ausnahme der beiden Physikerinnen Marie Curie und Lise Meitner sind die übrigen weitgehend unbekannt. Die Italienerin Maria Gaetana Agnesi beispielsweise, die im 18. Jahrhundert das mathematische Universum erweitert hat, wird nur ausgemachten Experten des Fachs ein Begriff sein.
Genau das war der Anlass für Katrin Molge, die Ausstellung zu konzipieren. Die Frauenbeauftragte der Fachhochschule Lübeck hat den noch immer kleinen Anteil von Frauen in technischen oder naturwissenschaftlichen Studiengängen täglich vor Augen. Für Molge liegt der Grund dafür auf der Hand. „Den Frauen“, sagt sie, „fehlen ganz einfach die weiblichen Vorbilder.“ „Einsteins Schwestern“ sollen das jetzt ändern.
Die neunzehn Plakate sind schlicht. Biografische Fakten und wissenschaftliche Verdienste werden aufgeführt, daneben steht jeweils ein Bild der Porträtierten. Farben ordnen die Plakate nach verschiedenen Fachrichtungen so exakt, als wolle Molge den Vorwurf weiblicher Unschärfe gar nicht erst aufkommen lassen. Das Spezifische und, wie im Fall von Beese, zuweilen Tragische der Schicksale dieser Frauen, die sich oft gegen alle Widerstände ihrer Umwelt behaupten mussten, bleibt in den Darstellungen ausgespart. Was aber hier an Anschaulichkeit verloren geht, holt das Drumherum der Ausstellung wieder ein.
Das „Spectrum“ steht in der Tradition der gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkommenden Experimentiersäle für Laien. Hier gibt es, verteilt über drei Etagen, mehr als 250 Versuchsanordnungen, in denen die Besucher physikalische Funktionsweisen und technische Phänomene eigenhändig erproben können. Im hauseigenen Labor entwerfen Ingenieure zum Teil sehr simple Vorrichtungen, mit denen sich die großen Zusammenhänge der Welt veranschaulichen lassen sollen. Mit einem alten Fußball und ein bisschen Schnur werden zum Beispiel die unterschiedlichen Umlaufgeschwindigkeiten der Planeten im Sonnensystem plötzlich erstaunlich logisch.
„Did you learn that from a book or did you observe it yourself?“, war die Frage von Maria Mitchell, mit der die Astronomin im 19. Jahrhundert dem Wissensdünkel ihrer männlichen Kollegen auf den Zahn fühlte. Ihr Beharren auf der Notwendigkeit der eigenen Beobachtung könnte als Motto über dem Eingang vom „Spectrum“ stehen. Maria Mitchell sei leider auf der historischen Informationstafel, die im Saal für Astronomie hängt, nicht berücksichtigt, sagt Christian Neuert, der Leiter des „Spectrums“, hätte aber auch nicht so richtig reingepasst. Wie praktisch, dass er sich mit „Einsteins Schwestern“ eine Ausstellung ins Haus geholt hat, die ein paar neue Impulse mitbringt. Denn während im Labor gerade weiter an Versuchen gebastelt wird, findet sich ja vielleicht nebenbei die Zeit, die eine oder andere Schautafel zu ergänzen. Nicht nur wegen der Frauenquote.
Bis 5. März, Di. bis Fr. 9–17 Uhr, Sa. und So. 10–18 Uhr, Deutsches Technikmuseum (Eingang: Möckernstraße 26)