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Archiv-Artikel

Das Atelier in der Farbpfütze

KUNST Wie beeinflussen Farben die räumliche Wahrnehmung? Wie kommen Klang und Rhythmus in die Architektur? Im Kolbe-Museum geben acht KünstlerInnen grundlegende und spannende Antworten

Kolbes Frauenfigur „Große Nacht“ vis à vis dieser Wandmalerei ermöglicht den direkten Vergleich zwischen der Plastik und dem Mittel der Farbe

VON RONALD BERG

Die gewohnten Plastiken fehlen. Die idealen Menschenfiguren des Bildhauers Georg Kolbe sind aus seinem ehemaligen Atelierhaus im Berliner Westend verschwunden. Stattdessen regiert nun die Farbe im Innern des Gebäudes: Farbe an Wand und Boden, in den verschiedensten Formen und Tönen. Farbe, die sich darüber hinaus sogar von den raumbildenden Elementen der Architektur löst und frei in den Raum tritt, um sich ähnlich wie eine Skulptur zu gebärden.

Eine rote Pfütze aus verfestigtem Kunstharz von Rainer Splitt ist da etwa am Boden zu sehen, in der sich der einstige Arbeitsraum Kolbes spiegelt. Oder ein zerknüllter Haufen von bunt bemalten Kupferblechen von Angela Dwyer, der sich im Erweiterungsbau auf dem Parkett finden.

Farbe und ihre Beziehung zum Raum war kein Thema von Georg Kolbe. Der Bildhauer schuf klassische Bronzeplastiken nach Tonmodellen. Umso mehr erstaunt es, dass nun im Georg-Kolbe-Museum das Thema Farbe und Raum durch acht, zumeist weibliche Künstler in vielfältiger und elaborierter Weise untersucht wird. Denn die Beziehung zu Kolbe, dessen Atelierhaus nach seinem Tod 1947 zu einem Museum für Bildhauerei wurde, geschieht auf den ersten Blick nur sehr vermittelt.

Auch geht man fehl, wenn man annimmt, dass die aktuelle Farbausstellung ein programmatisches Statement der neuen Direktorin des Hauses wäre. Julia Wallner, die vom Kunstmuseum Wolfsburg kam, bezeichnet sich selbst nicht als Kolbe-Fan. Doch die Ausstellung „Farbe Raum Farbe“ war lange vor Wallners Amtsantritt im März 2013 konzipiert, und zwar von zwei an der Ausstellung selbst beteiligten Künstlerinnen: Elisabeth Sonneck und Nicola Stäglich.

Ihr Konzept war zunächst nicht an einen konkreten Ort gebunden, traf aber beim Kolbe-Museum auf Interesse und richtete sich daraufhin auf die Räumlichkeiten des 1928 bis 1929 errichteten Backsteinbaus aus. Wobei gesagt werden muss, dass alle an der Ausstellung Beteiligten eigentlich aus der Malerei kommen. Gemälde auf Leinwand wird man dennoch jetzt vergeblich suchen.

Stattdessen ist die Wand Träger einer flächendeckenden Schwarzweißkomposition von Christine Rusche geworden. Beidseitig des Eingangs zum Atelier rotieren diagonal gesetzte Schwarzweißkontraste wie große Mühlenflügel auf den Wänden. Es ist eine erste Probe darauf, wie sehr Farbe die Wahrnehmung des Raums zu steuern vermag. Kolbes „Große Nacht“, eine aufsteigenden, lebensgroßen Frauenfigur vis à vis dieser Wandmalerei, ermöglicht hier den einzigen direkten Vergleich zwischen der Kolbe-Plastik und dem Mittel der Farbe bei ihren Möglichkeiten zur Suggestion von Bewegung.

Wie in die Architektur Rhythmus kommen kann, zeigt Elisabeth Sonneck mit ihren Farbakkorden. In einer Passage am Ausgang des Ateliers hat sie die Wände mit vertikalen Streifen bemalt, die in unterschiedlich Breiten und Farbintensitäten von Gelb, Blau, Türkis und Weiß einen Farbklang anstimmen, der dem Raum völlig neue Töne entlockt.

Ähnlich und doch ganz auf die Horizontale ausgerichtet, nämlich mit dicken schwarzen Balken, hat Esther Stocker die Wände einer Kammer im Untergeschoss bearbeitet. Der enge, hohe Raum wird durch die Streifen in der Wahrnehmung geradezu umcodiert. Er scheint nun eher breitformatig in Schichten gelagert: eine weitere Probe auf die Wirkungsmächtigkeit der Farbe gegenüber dem Raum.

Nicola Stäglichs Farbplatten aus Holz und Kunststoff, die wie ausgeschnitten Schablonen wirken, markieren die Tendenz der Farbe aus der Fläche herauszutreten. Die körpergroßen, oft spitz zulaufenden Formen finden sich sowohl als Relief an der Wand als auch frei stehend im Raum. Es scheint, als ob die Farbfelder aus der Wand in den Raum herausgetreten wären. Die Flächigkeit ist ihnen allerdings geblieben und erinnert an ihre Abkunft aus der Malerei.

Noch darüber hinaus in Richtung Skulptur geht Klaus-Martin Treder in dieser Ausstellung. Treder hat seine in Grüntönen bemalten Papierstreifen um ein ellipsoides Metallgestell gehängt, das sowohl einen (Binnen-)Raum aufmacht wie als farbig flirrendes Volumen auftritt. Im Grunde handelt es sich bei dieser Ausstellung um eine sehr anregende Grundlagenforschung zur Beziehung von Farbe und Raum mit künstlerischen Mitteln. Wie beeinflusst Farbe die Raumwahrnehmung, inwieweit bleibt die Farbe angewiesen auf Grund und Träger, und was passiert, wenn sie versucht davon loszukommen? Das sind Fragen, die auch jenseits eines kunsthistorischen Interesses Relevanz haben, weil die Welt nun mal aus lauter Farben besteht.

■ Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 25. 8., Di. bis So. 10 bis 18 Uhr