Ernst. Sehr ernst

LÜGE Eine fehlende Approbationsurkunde ist für das ZDF „Eine Frage des Vertrauens“ (20.15 Uhr, ZDF)

Ein gelernter Friseur bringt es bis zum Chefarztposten – ohne Abitur. Ein junger Assistenzarzt operiert am Uniklinikum Erlangen 196-mal komplikationsfrei – ohne Zulassung. Veritable Räuberpistolen sind das, prima Stoff für eine nette, böse Fernsehsatire.

Tatsächlich hat sich nun das ZDF des Themas Approbationsschwindel angenommen. Der Sender mit den statistisch ältesten Fernsehzuschauern im Land steht hier in ganz besonderer Verantwortung, und er nimmt seinen Programmauftrag ernst. Sehr ernst. Zu lachen gibt es deshalb nichts. Zumindest sind Lacher nicht intendiert. Der Film spielt in Hamburg, dort hat sich auch der zugrunde liegende reale Fall ereignet. Silke Bodenbender (Foto) verkörpert die brave, begabte und hochanständige Marie Hansen, die sich zum Studieren keineswegs zu schade ist, der es aber bereits an der Coolness mangelt, die es braucht, um ihre Kenntnisse im Physikum zu belegen. Nach zwei gescheiteren Anläufen ist es aus. Das deutsche Prüfungsrecht ist knallhart.

Sogleich macht sich Marie auf den Weg, bei ihren Eltern die Beichte abzulegen – und kommt doch zu spät. Gerade eben ist ihr die kleine Schwester mit einer anderen Beichte zuvorgekommen: Teenagerschwangerschaft. Dann hat auch noch in derselben Nacht der Vater einen Herzanfall. Es wäre allzu rücksichtslos von der liebenswerten Marie, jetzt etwas zu sagen. Zeitsprung, acht Jahre später. Marie ist die hoffnungsvolle Nachwuchsärztin des Henriettenstifts, eine anerkannte Fachkraft, die über Mukoviszidose forscht und publiziert – und dabei ihre Skrupel nie verliert: „Ich finde nicht, dass man neue Medikamente an kleinen Patienten testen sollte.“ Sie ist zu gut für diese Welt.

Der Zuschauer weiß das, nicht aber die weltfremden Technokraten von der Ärztekammer, die plötzlich nach der Approbationsurkunde fragen. Wie in manchen schlechteren Filmen der „Tatort“-Reihe soll ein als gesellschaftlich relevant erkanntes Thema in 90 Minuten durchverhandelt werden, die bloße Studie einer Lebenslüge war den Machern Miguel Alexandre (Regie) und Annette Hess (Buch) nicht genug. Das Duo hat sein Faible fürs Dickauftragen schon bei „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ bewiesen. Und auch diesmal rühren sie freigebig die Zutaten zu einem melodramatischen Brei: eine schwierige Liebschaft (Wotan Wilke Möhring), eine sexuelle Nötigung, ein todkrankes Kind. Und chargenhafte Charaktere. Den Chefarzt schläft mit der jungen Kollegin. Die Mutter ist ein Hausdrachen mit penetranter Sorge um den Ruf der Familie, deren Lieben es ihr aber auch verdammt schwer machen. Denn der Gatte ist auch nicht viel besser als die Töchter: „Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Ich glaube schon lange nicht mehr an Gott.“ Anderen mag es ähnlich gehen, aber er ist der Gemeindepfarrer. Auch das wäre prima Stoff für eine nette, böse Satire gewesen. JENS MÜLLER