Bloß geduldet

Was bedeutet Abschiebung – und wie verfahren norddeutsche Länder mit Migranten, die kein Asyl bekommen? Die Einzelfälle sind keine Schicksale – sondern Beispiele für ein merkwürdiges Grundrechts-Verständnis der Behörden

Komi Anani Adzrakou aus Güstrow ist einer von 140 Togoern, die demnächst aus Mecklenburg-Vorpommern abgeschoben werden sollen. Was die Behörden gern als „Rückführung“ bezeichnen, bedeutet für die Betroffenen oft Abschiebehaft. Komi Anani Adzrakou hat diese Prozedur hinter sich. Vor seiner im Februar geplanten Abschiebung retteten den Togoer in letzter Minute sein Hungerstreik und ein Abschiebestopp des mecklenburgischen Innenministeriums. Ein Protokoll:

2000: Komi Anani Adzrakou kommt aus Lomé nach Deutschland und stellt einen Asylantrag. Das Bundesamt für Flucht und Migration weist ihm eine Unterkunft in Güstrow zu.

Juni 2005: Sein Asylantrag wird abgelehnt. Anani stellt einen so genannten Folgeantrag.

Dezember 2005: Er wird vom Verwaltungsgericht Schwerin für den 16. Januar 2006 zur Verhandlung über den Folgeantrag vorgeladen.

15. Januar 2006: Ananis Duldung läuft aus. Er ist Inhaber einer so genannten „Kettenduldung“, seine Aufenthaltsgenehmigung wird immer nur für wenige Wochen verlängert.

16. Januar 2006: Vor der Fahrt zur Gerichtsverhandlung in Schwerin spricht Anani bei der Ausländerbehörde Güstrow vor, um seine Duldung verlängern zu lassen. Er wird verhaftet, die vorgesehene Gerichtsverhandlung in Schwerin abgesagt. Auf der Polizeiwache Güstrow wird ihm zunächst verweigert, seinen Anwalt anrufen zu dürfen. Als dieser später von der Polizei angerufen wird, beschwichtigt er Anani: Es gebe keine Handhabe, ihn festzuhalten. Am Nachmittag bestätigt das Amtsgericht Güstrow jedoch die Haftanordnung. Sein Anwalt ist dabei nicht anwesend. Anani wird in die Justiz Vollzugs-Anstalt Bützow gebracht. Er tritt in Hungerstreik.

17. Januar 2006: Anani wird aus seiner Einzelzelle in das Zimmer des Wachhabenden gebracht und gefragt, ob er essen will. Er verneint. Ein anderer togoischer Abschiebehäftling wird hinzugeholt, er soll dolmetschen. Sein Name ist Alasanne Moussbaou, ein Bekannter Ananis. Anani lässt ihn erklären, das er „lieber im Gefängnis verhungern als zurück nach Togo will“. Nach Aussage von Anani wird er daraufhin in eine neue Zelle gebracht, die äußerlich der ersten gleicht, aber über keine funktionierende Heizung verfügt – bei Außentemperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt.

18. bis 23. Januar: In den ersten vier Tagen nehmen die Wärter das Essen wieder mit, ab dem 5. Tag bleibt es in der Zelle stehen. Meist gibt es Graubrot mit Margarine.

24. Januar: Das Verwaltungsgericht Schwerin überprüft die Inhaftierung, entscheidet aber, das Anani weiter im Gefängnis bleiben muss.

25. Januar: Er bekommt Besuch von Mitarbeitern von Flüchtlingsinitiativen und Landtagsabgeordneten der Linkspartei. Diese versprechen ihm, sich bei der Landesregierung für ihn einzusetzen. Das Parteiprogramm der Linkspartei sieht vor, Abschiebehaft abzuschaffen. In Mecklenburg-Vorpommern regiert eine rot-rote Koalition.

26. Januar: Man führt ihn dem JVA-Arzt vor und verlegt ihn in die Krankenstation des Gefängnisses. Dort liegt bereits Moussbaou. Dieser war eine Woche zuvor ebenfalls in Hungerstreik getreten.

29. Januar: Bei einer erneuten Untersuchung zeigt sich der Anstaltsarzt besorgt um Ananis Gesundheitszustand. Anani bekräftigt seine Absicht, den Hungerstreik fortzusetzen.

31. Januar, vier Uhr morgens: Fünf Polizisten holen Moussbaou aus der Krankenstation ab und bringen ihn nach Berlin. Bewacht von mehreren Bundespolizisten wird er mit einer Air-France-Maschine über Paris nach Lomé abgeschoben. Am Flughafen wird er von togoischen Grenzpolizisten verhaftet.

4. Februar: Anani wird am 18. Tag seines Hungerstreiks in die Bützower Warnow-Klinik verlegt. Man fesselt ihn rund um die Uhr an Händen und Füßen ans Bett, zusätzlich steht immer ein Polizist vor der Tür. Wenn er zur Toilette will, muss Anani diesen rufen, um sich die Fußfesseln abnehmen zu lassen.

6. Februar: Das Innenministerium in Schwerin erlässt einen Abschiebestopp für Togo, der Polizist vor Ananis Zimmer wird abgezogen. Anani ist kein Häftling mehr, sondern normaler Patient der Klinik. Er stellt seinen Hungerstreik ein.

8. Februar: Komi Anani wird aus der Warnow-Klinik in sein Asylbewerberheim in Güstrow entlassen. Tage später kann er noch immer kaum feste Nahrung aufnehmen, ernährt sich von etwas Suppe, hat weiter starke Schmerzen. Wie es weitergeht, ist unklar. Was will er tun, wenn der Bericht des Auswärtigen Amtes so ausfällt, dass er wieder abgeschoben werden soll? „Encore une fois“ – wenn es sein muss, alles noch mal.