Vier von vier Bescheiden falsch

Bagis fordert 2.000 Mehrpersonenhaushalte zum Umzug auf, weil ihre Miete zu hoch sei. Oftmals aber sind die Bescheide schlicht falsch, so die Erfahrung der Solidarischen Hilfe. Und nach Bagis-Regeln werde auch bestraft, wer seine Miete senke

Bremen taz ■ Die ersten Hartz IV-Bezieher in angeblich zu teuren Wohnungen haben Post bekommen. Insgesamt 2.000 Mehrpersonenhaushalte, deren Miete nach Bagis-Berechnungen um 30 Prozent oder mehr über der Bemessungsgrenze liegt, werden darin aufgefordert, ihre Unterkunftskosten zu senken – also umzuziehen, unterzuvermieten oder über eine Mietsenkung zu verhandeln.

Herbert Thomsen von der Solidarischen Hilfe hat bisher vier Betroffene beraten. Sein Fazit: „Alle vier Bescheide sind falsch.“ Statt der Bruttokaltmiete, wie im Wohngeldgesetz vorgesehen, habe die Bagis die Warmmiete als Berechungsgrundlage verwendet. Außerdem sei sie stets von der untersten Mietstufe ausgegangen. Bei nach 1991 gebauten oder modernisierten Wohnungen gelte jedoch eine höhere Bemessungsgrenze. „Dies trifft auf die meisten Wohnungen zu. Die Bagis müsste das wissen.“

Zu Thomas Beninde von der Aktionsgemeinschaft arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger (AGAB) sind bisher ein knappes Dutzend Betroffene gekommen. Sein Eindruck: „Es ist völlig unklar, wie sich die angegebenen angeblichen Mietkosten zusammensetzen.“ Laut Verwaltungsanweisung der Sozialsenatorin haben die Betroffenen ein halbes Jahr Zeit, auf das Schreiben zu reagieren. Erst danach werden sie verbindlich aufgefordert, sich in weiteren sechs Monaten eine günstigere Bleibe zu suchen. In den Briefen werden aber auch kürzere Fristen gesetzt, in einem Fall bis zum 31. März. Gut möglich, meint Beninde, dass auf diese Weise „sonstiger Stress“ mit aufmüpfigen Arbeitslosen ausgetragen werde.

Zum Umzug kann niemand gezwungen werden. Im Ernstfall übernimmt die Bagis aber nur noch die Miete bis zur Bemessungsgrenze.

„Die Leute sind völlig verunsichert“, ist Herbert Thomsens Beobachtung. Aufgrund der offensichtlichen Fehler ließe sich das Problem im Einzelfall zwar zügig lösen, erstmal verbreite die Bagis mit ihren fehlerhaften Schreiben aber Panik. Thomsen weiß von einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, die bereits einen der Briefe erhalten hat. Dabei sind für Alleinerziehende, ebenso wie für Schwangere, ältere und im Stadtteil in besondererer Weise eingebundene Menschen, Ausnahmeregelungen vorgesehen. Das Problem: Es handelt sich um eine „Kann“-Vorschrift – und die Betroffenen müssen diese Gründe selbst darlegen.

„Die Bagis hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht und die ihr bereits vorliegenden Daten nicht ausgewertet“, kommentiert Beninde die Brief-Aktion. Bei der Bagis bucht man die dagegen als „Kundenservice“. „Wir wollen sicher gehen, dass wir auf dem brandaktuellen Stand sind“, sagt Sprecherin Angela Wessel.

Absurd findet Thomas Beninde, dass gerade die Arbeitslosen bestraft werden, die sich kooperativ zeigen. Eine Migrantenfamilie etwa habe nach zweijähriger Suche jetzt eine neue Wohnung gefunden. Weil die Miete dafür um 37 Euro über der Bemessungsgrenze liege, übernehme die Bagis keinerlei Umzugskosten. In einem anderen Fall hat ein Mann den Spar-Vorschlag der Bagis umgesetzt und einen Untermieter aufgenommen. Jetzt werde diese Wohngemeinschaft – den Gepflogenheiten der Bagis im Umgang mit WGs entsprechend – wie eine Familie behandelt. Die Folge: Die Bemessungsgrenze wird deutlich niedriger angesetzt als bei Alleinlebenden. Der Mann liegt so trotz aller Mühe wieder um 30 Prozent über dem Erlaubten.

Annedore Beelte