: „Ich möchte Menschen enthüllen“
Der Künstler Peter Kees interviewt heute Abend Kultursenator Thomas Flierl (Linke) live im tazcafé. Mit seiner Reihe „TV Real“ möchte er an der Eitelkeit der eingeladenen Gesprächspartner kratzen
INTERVIEW NINA APIN
taz: Herr Kees, heute Abend laden Sie wieder zum öffentlichen Ersatzfernsehen, erstmals im tazcafé. Was unterscheidet Ihr „TV-Real“ von echten Fernseh-Talkshows?
Peter Kees: Auf den ersten Blick ist die Situation ähnlich wie im Fernsehstudio: Mein Gast und ich sitzen uns auf Stühlen gegenüber, es gibt Beleuchtung, Mikrofone und ein Publikum. Der Unterschied ist, dass bei uns nichts geschnitten, nachbearbeitet oder sonst wie manipuliert wird. Bei „TV Real“ enstehen aus einer Live-Situation Skizzen einer Persönlichkeit, die idealerweise nach 50 Minuten ein Porträt ergeben. Oder Skizzen bleiben, je nach dem, wie es läuft.
Was hoffen Sie heute über Kultursenator Thomas Flierl zu erfahren – ob er gerne Spagetti isst oder Haustiere hat?
Ich möchte keine Dinge enthüllen, sondern Menschen. Das unterscheidet mich von einem Fernsehmoderator. Mich interessiert weniger, wie sich der Politiker Flierl an diesem oder jenem Punkt in seiner Karriere verhalten hat. Oder wie er zu Hause seine Frau nennt. Das wäre so ein „Johannes B. Kerner“-Ansatz: die Biographie abklopfen, ein wenig die Eitelkeit des Eingeladenen kitzeln … Ich habe ein ganz naives, aber tief gehendes Interesse am Menschen Flierl: Ich möchte wissen, wer er ist, welche Hoffnungen, Wünsche, Haltungen er hat, was ihn im Leben antreibt.
Gelingt es denn immer, unter die Oberfläche zu gelangen?
In 80 Prozent der Fälle gelingt es mir, den Gesprächspartner zu „knacken“, seine Widersprüche, tiefer liegenden Wünsche und Ängste zumindest zu streifen. Ich bemühe mich, einen intimen Rahmen zu schaffen, ein offenes und vertrauensvolles Gesprächsklima. Dazu gehört auch, dass das Publikum räumlich durch eine Glasscheibe von uns getrennt ist. Das schafft einen geschützten Raum. Es kann aber auch passieren, dass unter der Oberfläche nicht viel ist, dann habe ich schlicht Pech gehabt. Eine Gesprächspartnerin beispielsweise antwortete auf die Frage, was für sie der Sinn des Lebens sei: Party machen. Das war ein Gespräch von geringer Aussage. Aber nicht alle Menschen sind tiefgründig und kompliziert.
Sie haben inzwischen über 150 Menschen interviewt, vom Obdachlosen bis zum forensischen Fotografen. Welches System steckt hinter der Auswahl Ihrer Gesprächspartner?
Mein Ziel ist, einen repräsentativen Querschnitt durch unsere Gesellschaft zu zeigen. Ich gehe dabei vor wie ein Chronist oder Vermesser. Das ist der künstlerische Ansatz dahinter. Dazu kommt, dass ich mittlerweile süchtig nach diesen Begegnungen bin, man könnte sagen, ich sammle Menschen.
Sind Sie ein politischer Künstler?
Ich würde mich eher als Existenzialisten bezeichnen: Ich erlebe seit meiner Geburt Grenzerfahrungen, die ich versuche, in künstlerische Positionen umzuformulieren. Wenn ich meine Rechnungen nicht bezahlen kann, wenn mich Kriege aufregen, dann suche ich einen kollektiven Zusammenhang zu meiner persönlichen Situation. Und stoße auf eine Diktatur der Ökonomie, die unsere Gesellschaft dominiert, auf Hartz IV, auf Sicherheitsdenken, auf nationale Symbolik. Daraus entstehen Kunstobjekte wie die „Identitätskontrollstelle“ oder die Kampagne „Leben ohne Geld“.
Welche Parameter haben Ihre persönliche Identität geprägt, Herkunft, Lebensmittelpunkt, andere Menschen?
Menschen haben mich schon immer mehr geprägt als Orte: Ich bin in Bayreuth als Kind von Ostvertriebenen aufgewachsen, eigentlich habe ich mich dort immer fremd gefühlt. Mehr als alle Kindheitserlebnisse hat mich eine Statistenrolle geprägt, die ich als Zehnjähriger bei den Festspielen bekam: Diese Wagner-Welt, die ganzen auswärtigen Künstler, das war bleibend. Auch die Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen bei TV Real haben meinen Blick auf die Welt verändert. Mein größter Traum wäre es, für einen Tag die Identität eines anderen Menschen anzunehmen.
Wer würden Sie dann am liebsten sein?
Ich denke, ein Bankdirektor. Das ist der größte Gegensatz zu meiner Person, den ich mir im Moment vorstellen kann.