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Archiv-Artikel

Im Kontext von Rassismus

betr.: „Die Zeuginnen der Anklage“, Migrationsforscher haben mit einem offenen Brief eine nötige Debatte angezettelt, taz v. 11. 2. 06

Was einige der UnterzeichnerInnen des offenen Briefes von Necla Kelek und ihren VerteidigerInnen unterscheidet, ist, dass wir wissen, dass wir uns innerhalb einer rassistischen Ordnung und diskriminierender Gesellschaftsverhältnisse und -strukturen bewegen, weshalb wir in diesem Rahmen immer Gefahr laufen, dass das eigene Handeln andere Effekte haben kann als wir beabsichtigen.

In der Migrations- und Rassismusforschung begleitet uns dieses Dilemma schon lange. Ebenso in der pädagogischen und sozialen Arbeit: Greift man einen Missstand heraus und gibt ihm absolute oder alleinige Priorität, ohne dabei den Kontext, in diesem Fall von Rassismus, Diskriminierung und Entrechtung von MigrantInnen in der Mehrheitsgesellschaft, einzubeziehen, so kann man ganze Gruppen diffamieren und sich dabei mit gesellschaftlichen Bildern und Politiken verbünden, die ganz andere Ziele haben.

Necla Kelek nutzt die ihr entgegengebrachte Aufmerksamkeit von Medien und Politik auf eine Weise, die deutlich macht, dass ihr der Preis, die „Kolateralschäden“, egal sind. Sie geht sogar so weit zu behaupten, es gebe keine Diskriminierung von Muslimen.

Monokausale Welterklärungen haben nie dazu beigetragen, dass das Denken geschweige denn das politische Handeln adäquate Lösungswege hervorgebracht hätten. Man braucht immer einen Ort außerhalb, ob man es Vogelperspektive oder (Selbst-)Distanzierung nennen mag, um auf das Geschehen und sich selbst als Teil des Ganzen zu schauen. Aber genau dieser reflexive Blick scheint in dieser Debatte Kelek und vielen anderen abhanden gekommen zu sein.

ANNITA KALPAKA, Wiesbaden

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