DER ULTIMATIVE STÄDTEVERGLEICH
: Nord-Neukölln ist nicht wirklich unsere Lower East Side

VON ANDREAS HARTMANN

Nichts wird gerade so heiß diskutiert wie die in der aktuellen Tip-Titelgeschichte aufgestellte These, Neukölln sei jetzt „Berlins Lower East Side“. Der Vergleich Berlin/New York ist ja ziemlich alt, und man hatte bislang stets das Gefühl, dass sich die lustige Partystadt Berlin keinen Gefallen damit tut, ausgerechnet mit der Stadt der Städte konkurrieren zu wollen.

Zuletzt kam angesichts der Tatsache, dass man im winterlichen Berlin durchgehend auf Eisbuckeln ausrutscht und später in Ekelmatsch versinkt, auch nicht gerade Weltstadtfeeling auf.

Der Tip behauptet jetzt sogar: Berlin schlägt New York. Dank Neukölln sei Berlin heute so wild und Off-Kultur-mäßig wie New York in den Siebzigern und Achtzigern. Wir alle wissen aus Filmen und Erzählungen über Andy Warhol oder Patti Smith, dass das die beste Zeit im Big Apple war. Unsere selbst gestellte Aufgabe in dieser Samstagnacht lautete also, das ominöse Lower-East-Side-Gefühl zu finden.

Dazu starteten wir in der „Forgotten Bar“ in unmittelbarer Nähe zum Moviemento-Kino, also noch in Kreuzberg. Hier war gar nix los, vielleicht ein Zeichen dafür, dass Kreuzberg wirklich langsam abgemeldet ist, weil jetzt alle im Nachbarkiez ausgehen. Kurz über den Kottbusser Damm, und wir landen in New York – ein gutes Gefühl.

Eine in unserer Ausgehgruppe kam gerade tatsächlich von einem Trip aus New York und war natürlich unterwegs mit einer „I love New York“-Tasche. Perfekt eigentlich für den ultimativen Städtevergleich. Doch sie wollte nicht mitmachen. „Berlin ist Berlin, New York New York“ sagte sie gleich, was eine Spielverderber-Aussage war. Geplant war die einfache Lower-East-Side-Route. Das hieß: Weserstraße rauf und runter. Schräge Noisekonzerte und Galerien, in denen einem die Haare geschnitten werden, wie der Tip suggeriert, werden wir beim nächsten Mal suchen. Erste Location war das „Schilling“, das eher eine Enttäuschung war. Zumindest kaputt, anarchisch oder auch nur unkonventionell war es hier nicht. Versprochen wurde einem am Eingang „brazilian folk“. Zu hören gab es dann jemanden, der auf der Gitarre Nirvana-Songs nachspielte. „Wie in New York“, sagte jemand und meinte damit die angedeutete Coffeehouse-Stimmung. Am Ende einigten wir uns aber eher auf das „wie in Regensburg“, das aus einer anderen Ecke kam.

Schnell weiter in die Queer-Kneipe „Silverfuture“ und damit in eine völlig andere Atmosphäre. Selbst gebastelte Einrichtung, gemütliche Sofas, großer Raucherbereich.War das jetzt New York? Unser Votum: „Autonomes Jugendzentrum, irgendwo in Baden-Württemberg“. Denn – vielleicht war die Erwartungshaltung ja zu hoch gewesen – irgendetwas total Abgefahrenes ereignete sich hier auch nicht. Als nettes Gesellschaftsspiel im „Silverfuture“ erwies sich dann höchstens „Such die Toilette“. Unter Garantie wird man bei längerem Aufenthalt im „Silverfuture“ bald von einem unruhigen Gast nach den Toiletten gefragt, da selbige in dieser Kneipe vor den Gästen förmlich versteckt werden. Dann gibt man dem Fragenden in Nöten vage Hinweise, wo sich die Toiletten befinden könnten, und wenn sich die Suche nicht zu lange hinzieht, haben alle Spaß bei diesem Spiel.

Eine Location war jetzt noch drin: das „Fuchs&Elster“, das sich als Laden voller Überraschungen entpuppte, also einen hohen Lower-East-Side-Faktor aufwies. Vor dem Laden: jede Menge Fahrräder. Begibt man sich in den Laden: kein Mensch zu sehen. Man geht einfach weiter nach hinten, öffnet verborgene Türen, steigt steile Treppen hinab, will schon wieder umdrehen, weil einfach nichts mehr zu kommen scheint und auch keine Musik zu hören ist, bis man hinter einer weiteren Tür doch noch auf einen Partyraum stößt. Voll war es hier. Viele US-Amerikaner. Typisch Berlin.