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Archiv-Artikel

„Über die Wahrheit lacht keine Sau“

Der italienische Kabarettist und Wahlbonner Konrad Beikircher fühlt sich als Gastarbeiter in NRW: Als Alien hat er die Weite des Kopfes und kann die Lächerlichkeiten der Deutschen genau erkennen. Zum Beispiel die Kontaktscheue der Rheinländer

INTERVIEW SIMON LENARTZ

taz: Wer ist Konrad Beikircher?

Konrad Beikircher: Der hat keinen Unterbau! Was ihm unten fehlt, hat er oben nie gehabt. Meine Jugend in Südtirol wurde mit neunzehn abgeschnitten und nie mehr erneuert. Das heißt, meine Beine sind in Italien. Ich habe aber keinen italienischen Überbau. Mein Überbau lebt in Deutschland, ohne das er hier einen Unterbau hätte. Hier schwebe ich absolut im Freien.

Was ist das für ein Gefühl?

Das ist ein ganz riesiger Zustand. Ich dachte bisher immer: Wunderbar, ich lebe hier in Deutschland und sehe das Ganze immer so ein bisschen von außen. Das ist toll. Du siehst viele Kleinigkeiten, viele Lächerlichkeiten, die jedes Volk hat. Und hier gibt es ja Lächerlichkeiten „ze bach“. Ich glaube mir geht es wie unglaublich vielen Leuten, die ein Erwachsenenleben in einem Land haben, in dem ihnen der Unterbau fehlt.

Seit wann haben sie dieses Gefühl?

Als ich wieder mal gefragt wurde: „Wieso machen sie kein politisches Kabarett?“ und ich, wieder mal – seit zwanzig Jahren sage ich das – antwortete: Ich mache kein politisches Kabarett, weil ich hier nicht geboren und aufgewachsen bin, da kam ich darauf, dass sich aus der zweiten Generation der Gastarbeiter, so etwas wie ein Europäer herausbildet. Der auf Kosten der Zugehörigkeit die Weite des Kopfes hat. Das ist die Chance dabei.

Sind sie ein Wanderer zwischen den Welten?

Es ist nicht ganz so, dass ich Wanderer zwischen den Welten bin. Inzwischen ist es so, dass ich aus der einen europäischen Provinz komme und in der anderen europäischen Provinz lebe.

Leben sie also zwischen „Himmel un Ääd“?

(lacht) Ja, genau. Es ist so ein bisschen wie die Geschichte vom H.C.-Artmann: Jemand geht über eine Grenze im Gebirge und da kommen ihm ein paar Beine entgegen, aber ohne Oberkörper. Die Geschichte geht aus, ohne das es erklärt wird.

Ihr Kabarettprogramm, die „rheinische Trilogie“, hat mittlerweile acht Teile. Wie viele kommen noch?

Ich bin im Moment beim Neunten. Ich bin ja Wahlbonner, wie könnte der nächste Teil also anders heißen als: „Die rheinische Neunte“.

Wie haben sie die rheinische Sprache und Mentalität gelernt?

Das war das erste, was ich in Psychologie gelernt habe: Für ein gutes Gespräch musst du zuhören können. Um sich gut mit jemandem zu unterhalten, musst du das Maul halten. Im Rheinland dauert das.

Weil der Rheinländer so gerne und so lange redet?

Naja, manchmal sag ich das ja scherzhaft auf der Bühne: Der Rheinländer ist einer der Scheuesten überhaupt. Die tun so, als wären sie sowas von kontaktfreudig. Du bist ja direkt an der Theke und er duzt dich. Und am nächsten Tag kennt er dich nicht mehr, weil da ist wieder eine Wirklichkeit, neue Leute und neues Du. Bei mir hat es elf Jahre gedauert, elf Jahre!, bis ich von einem rheinischen Beamten, mit dem ich engstens befreundet war, das erste mal zu sich nach Hause eingeladen wurde. Und das ist typisch.

Warum das?

Das hat damit zu tun, dass die andere Seite dieser brüllenden Kontaktfreudigkeit eine ungemeine Kontaktscheu ist. Da ist er dann leise. Er brüllt deshalb so laut, damit man nicht dahinter kommt, dass er so leise ist.

Das klingt paradox.

Das ist wirklich ein Paradox. Was bei Westfalen oder Norddeutschen scheinbar die Scheu ist, das ist überhaupt keine Scheu. Die machen nur nicht den ersten Schritt. Wenn du den ersten Schritt machst, dann steht das, aber dann steht das auch fünfzig Jahre lang. Das erschrickt vielleicht manchmal den Rheinländer, weil er gerne springt.

Muss man nicht ein Alien sein, um das zu erkennen?

Ja das schon, das auf jeden Fall. Aber um akzeptiert zu werden, muss man authentisch sein. Da kannst du dann auch aus Bielefeld sein, das ist egal. Authentizität ist schon wichtig.

Was würden sie in ihrer Autobiografie erzählen?

Von meiner ersten Ehefrau, ihrem Suizid, von Streit unter Psychologen. Und zwar mit dem Blick, von jemandem, der im Knast gearbeitet hat, hat meines Wissens noch niemand erzählt. Ich habe ja von den Knackis mehr gelernt, als die von mir.

Woher kommen ihre Geschichten? Aus dem Alltag?

Nein. Insbesondere, wenn ich erzähle, dass etwas wirklich wahr ist, ist die Geschichte erfunden. Ich liebe dieses Spiel mit der Scharade. Oft ist schon ein wahres Moment drin, das walz ich dann aus, aber wenn man auf der Bühne wahre Geschichten erzählt und sich daran hält – vergiss es. Keine Sau lacht. Du musst die Wahrheit schminken.

Was sind ihre Haupt-Charaktereigenschaften?

Das ist schwierig. Ich bin so eitel, dass ich mich gerne zurücknehme. Ich bin so bescheiden, dass ich gerne auf dem Platz Nummer eins stehe, aber ich bin nicht neidisch. Das bin ich wirklich nicht. Neid ist mir fremd und da bin wirklich froh drum. Es gibt Menschen, da kannst du nur Mitleid haben – und selbst darauf sind die noch neidisch.

Sie haben einmal gesagt, Glaube und Religion sind die einzigen Dinge, über die sie kein Kabarett machen würden.

Nee, würd ich auch nicht. Das ist der Boden, auf dem Menschen stehen, selbst der Atheist steht auf atheistischem Boden, aber den braucht er. Mich darüber lustig zu machen finde ich doof.

Was ist dann ihre Meinung zum „Karikaturenstreit“?

Die Pressefreiheit ist ein Grundwert, den darf man niemals in Frage stellen. Nur: Wer sie missbraucht, weil er sich über Glauben lustig macht, tut mir leid. Aber ich würde mir die Hand dafür abhacken lassen, dass er das darf, das ist eine andere Frage.