: Ritt auf der Klinge
VON HANNES KOCH
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) erhielt gestern eine gute Nachricht, die ihn trotzdem nur mittelmäßig erfreute. Entgegen allen Horror-Spekulationen hat die Staatsverschuldung im vergangenen Jahr nicht die Grenzen gesprengt. Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes fiel sie sogar ziemlich moderat aus. Lediglich mit 3,3 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung verschuldeten sich die öffentlichen Haushalte – und hätten damit den Stabilitätspakt von Maastricht fast noch eingehalten. Doch Steinbrück war nicht richtig zufrieden: „3,4 Prozent wären mir lieber gewesen“, grummelte er.
Der Grund ist einfach. Weniger Verschuldung in 2005 bedeutet für den SPD-Finanzminister, dass sein Spielraum auch für den Haushalt 2006 geringer wird. Denn Steinbrück hat EU-Währungskommissar Joaquin Almunia versprochen, das Etat-Defizit nach und nach zu reduzieren. Da will er sich kein höheres Defizit leisten als 2005.
Eines der obersten Ziele ist es, dem Maastricht-Kriterium wieder gerecht zu werden. Grundsätzlich, so der Finanzminister, könne das entgegen der offiziellen Etatplanung sogar in 2006 schon geschehen – aber nur mit viel Glück. 2007 hingegen will Steinbrück definitiv bei 2,5 Prozent Defizit im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt landen und das schwebende EU-Strafverfahren gegen Deutschland damit beenden.
Steinbrück und die große Koalition versuchen den Ritt auf der Rasierklinge. Sie wollen massiv sparen, um die immerhin 50 Milliarden Euro betragende Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben zu schließen. So sollen die Bundesländer bis 2009 rund 2,3 Milliarden Euro weniger für die Finanzierung des regionalen Bahnverkehrs erhalten. Den Beamten kürzt die Regierung das Weihnachtsgeld, und die Zuschüsse für die Sozialversicherung sollen verringert werden.
Allerdings tut sich für 2008 eine neue Lücke in der Rentenfinanzierung von rund 500 Millionen Euro auf. „Dafür müssen Arbeitsminister Franz Müntefering und ich eine Lösung im System suchen“, sagte Steinbrück. Wenn die Beiträge nicht weiter steigen und die Renten nicht sinken sollen, wird der Finanzminister an einem höheren Zuschuss nicht vorbeikommen. Obwohl er das nicht will, denn seiner Rechnung nach beansprucht die Alterssicherung heute knapp 80 Milliarden Euro und das übrige Sozialsystem weitere 54 Milliarden Euro – gut die Hälfte des gesamten Bundeshaushaltes von 262 Milliarden.
Doch beim ersten Haushalt der großen Koalition handelt es sich nicht nur um einen Sparetat. Die Regierung erhöht auch ihre Einnahmen, indem sie die Mehrwertsteuer (siehe unten) und andere Steuern anhebt. Als Rechtfertigung halten nicht nur Maastricht und das Defizit her, sondern auch die Notwendigkeit, in die Zukunft zu investieren. Rund 25 Milliarden Euro gibt Schwarz-Rot für ein Wachstumsprogramm aus.
Angesichts des Pakets aus Sparen, Steuererhöhung und Investitionen ist Gustav Adolf Horn vom gewerkschaftlich orientierten Institut für Makroökonomie nicht der Einzige, der die ökonomische Balance kritisiert. Gerade angesichts der besseren Defizitzahlen für 2005 solle die Regierung weniger sparen und mehr ausgeben, argumentiert Horn. Andernfalls werde der gerade beginnende Wirtschaftsaufschwung im kommenden Jahr schon wieder abgewürgt.