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Archiv-Artikel

Kriegshilfe für USA

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Die Vertreter der Parteien im parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags (PKG) haben nach dem Abschlussbericht der Regierung über die deutschen Geheimdienstaktivitäten extrem unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen. Während die Abgeordneten von Union und SPD betonten, der Bundesnachrichtendienst (BND) sei an operativen Kriegshandlungen im Irak nicht beteiligt gewesen, erklärte der grüne Geheimdienst-Kontrolleur Christian Ströbele gestern Abend zu den Aktivitäten von BND-Mitarbeitern: „Es war eine Unterstützung der US-Luftkriegsführung in Bagdad.“

Von dieser Unterstützung habe die damalige rot-grüne Bundesregierung aber seinen Erkenntnissen nach nichts gewusst, sagte Ströbele. Die Unterstützung habe auch den Weisungen der Regierung und der BND-Spitze widersprochen.

Ob FDP und Grüne für einen Untersuchungsausschuss plädieren, war bei Redaktionsschluss noch unklar, es sprach jedoch nicht viel dafür. Ströbele vermied es, eine Empfehlung abzugeben, lobte aber ausdrücklich die bisherige Auskunftsbereitschaft der Regierung. Im Kontrollgremium sei mehr aufgeklärt worden, als dies wahrscheinlich in einem Jahr Untersuchungsausschuss möglich gewesen wäre. Nur der Linkspartei-Vertreter Wolfgang Neskovic forderte bereits am Nachmittag einen Untersuchungsaus-schuss. Möglich wäre dieser nur, wenn alle drei Oppositionsparteien zustimmen.

Seine Bewertung der bisherigen Erkenntnisse unterscheide sich jedenfalls vehement von der Mehrheit des Kontrollgremiums, betonte Ströbele. Anders als die Bundesregierung und anders als die große Koalition könne er „eindeutig“ sagen, dass die BND-Mitarbeiter „auch militärische Objekte aufgeklärt und nach Deutschland zur Weitergabe an die US-Stellen weitergegeben haben“, sagte Ströbele. Die bisherige Auskunft von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), wonach von BND-Mitarbeitern nur nichtmilitärische Ziele an die USA weitergeleitet wurden, sei nicht mehr haltbar, erklärte das grüne PKG-Mitglied. Unter anderem hätten die deutschen Spione ihre Kenntnisse über Stellungen der Republikanischen Garden des Irak gemeldet, die zu den wichtigsten Angriffszielen der USA gehört hätten. Die BND-Mitarbeiter hätten auch über Standorte des irakischen Geheimdienstes berichtet sowie über einen „Offiziersklub“, der kurz vorher bombardiert worden war. Die deutschen Mitarbeiter hätten gemeldet, dass sich dort auch nach der Bombardierung noch Iraker aufgehalten hätten. Drei Tage später hätten sie dann berichtet, der Offiziersklub sei erneut bombardiert worden. Ein direkter Zusammenhang sei zwar nicht nachweisbar. Aber dass bewusst militärische Objekte weitergemeldet wurden, sei klar. „Es gab vier schriftliche Meldungen“, sagte Ströbele, „die auch tatsächlich nach Angaben des Bundesnachrichtendienstes weitergegeben wurden an US-Stellen.“

Im Parlamentarischen Kontrollgremium war es zuvor bei den Abschlussberatungen über die Geheimdienst-Affäre zu einem Eklat gekommen. Der Linkspartei-Vertreter Wolfgang Neskovic boykottierte die Erörterung des Regierungsberichts und verließ die Sitzung vorzeitig. Damit wolle er gegen eine Instrumentalisierung des Gremiums durch die Bundesregierung und einen geplanten Rechtsbruch protestieren. „Hier findet ein Täuschungsmanöver statt“, sagte Neskovic. Die Regierung legte dem Kontrollgremium (PKG) einen fast 300-seitigen Bericht vor, in dem sie über den Einsatz von BND-Mitarbeitern im Irak, die Besuche deutscher Beamter im US-Gefangenenlager Guantánamo und in einem syrischen Gefängnis sowie den Entführungsfall al-Masri (Foto) Stellung nimmt. Die Regierung kann alleine entscheiden, welche Teile des Berichts sie veröffentlicht und welche nicht. Die Mitglieder des PKG sind generell zur Geheimhaltung verpflichtet und dürfen sich nur zu solchen Informationen äußern, die ausdrücklich freigegeben werden. Neskovic kritisierte, dass der SPD-Vertreter Olaf Scholz trotzdem eine Bewertung des Berichts durch das Gremium angekündigt habe – offenbar in der Hoffnung, die schwarz-rote Mehrheit der Mitglieder würde Regierung und Sicherheitsbehörden entlasten. Nach Einschätzung des Juristen Neskovic würde das aber Geheimnisbruch bedeuten: „Wenn Gesetze keine Bindungskraft mehr haben, dann können wir den ganzen Laden hier dichtmachen.“ Der Linksfraktion-Abgeordnete betonte, das PKG sei nicht zur Aufklärung der Affäre geeignet, da es sich allein auf Angaben der Regierung stützen könne. „Insgesamt haben wir sehr geringe Möglichkeiten zur professionellen Wahrheitssuche.“ „Die Untersuchungen sind zum Abschluss gekommen“, sagte dagegen Kontrollgremiums-Chef Norbert Röttgen (CDU). Es sei zu keiner Beteiligung an militärischen Operationen oder der Mithilfe dazu gekommen. „Es gibt nichts mehr zu untersuchen“, betonte auch SPD-Mann Scholz.