: Ausreise statt Abschiebung
AUSLÄNDERRECHT Amtsgericht überprüft in letzter Minute, ob Jennifer I. zu Unrecht unterstellt wurde, sie habe Italien-Aufenthaltserlaubnis gefälscht
„Und wer bezahlt mir jetzt die Reise- und Hotelkosten?“, fragt der Mann auf Italienisch. Neben ihm wartet seine Ehefrau Jennifer I. in der Schlange vor der Gepäckkontrolle im Ryan-Air-Terminal des Bremer Flughafens. In anderthalb Stunden startet ihr Flug nach Bergamo. Nach Hause.
Dass dieses möglich ist, verdankt sie einer engagierten Rechtsanwältin und dem eigenen Mut, in einem Land, dessen Sprache sie nicht spricht, ihre Rechte einzufordern. Denn wenn es nach Bremer Behörden und Gerichten gegangen wäre, stünde die 28-Jährige jetzt alleine irgendwo in Nigeria. Dorthin sollte sie vor einer Woche abgeschoben werden – in ein Land, aus dem sie nach eigenen Angaben vor sechs Jahren geflohen war. Man hatte ihr nicht geglaubt, dass sie rechtmäßig in Italien verheiratet ist, ihr unterstellt, ihre Aufenthaltserlaubnis für Italien gefälscht zu haben. Deshalb hatte das Amtsgericht sie zwei Wochen in Abschiebehaft sitzen lassen. Das Verwaltungsgericht verfügte schließlich, dass sie auch ohne Klärung ihres aufenthaltsrechtlichen Status nach Nigeria abgeschoben werden könne. Ein Sprecher des Innensenators verteidigte dies: „Da kommt sie schließlich her.“
Aber Jennifer I. wollte dorthin nicht zurück. Und wenn, dann nur im Besitz ihrer italienischen Dokumente. Weil ihr dies beim Abschiebeversuch nach Nigeria verweigert wurde, widersetzte sie sich. Beim nächsten Mal wäre sie gezwungen worden. Doch dazu kam es nicht. Zum einen ging das Amtsgericht doch noch auf den Vorschlag von Anwältin Christine Graebsch ein und rief bei der zuständigen Behörde in Italien an. Die bestätigte, dass Jennifer I’s. Aufenthaltserlaubnis entgegen der Auskunft des Bundeskriminalamtes echt sei. Zum anderen dirigierte Graebsch Jennifer I.s 43-jährigen Gatten, ein Lieferwagenfahrer, der noch nie zuvor in seinem Leben ins Ausland verreist war, nach Deutschland. In der Hoffnung, ihrer Mandantin würde dann die Freizügigkeit gewährt, die ihr als Angehörige eines EU-Bürgers zusteht.
Am vergangenen Samstag, eine Stunde vor dem letzten Aufruf, das Flugzeug zu besteigen, erscheinen endlich zwei Mitarbeiterinnen der Ausländerbehörde am Flughafen und geben Jennifer I. ihre Aufenthaltserlaubnis, ihr Ehezeugnis und andere eingezogene Dokumente wieder. Die benötigt sie für die Heimreise. Das Anliegen ihres Mannes, seine Flugkosten zu übernehmen, weisen die jungen Frauen zurück. Das sei seine Privatangelegenheit. Und die Tatsache, dass Jennifer I. längst schon ausgereist wäre, wenn man ihr nicht die vermeintlich gefälschten Papiere weg- und sie in Haft genommen hätte? „Sie hätte mitwirken müssen“, sagt eine der beiden Frauen. So hatte zuvor schon der Sprecher des Innensenators das Behördenverhalten erklärt. Warum es als Mitwirkung nicht ausreichte, dass Jennifer I. ihre gültige Aufenthaltserlaubnis vorlegte – diese Frage bleibt unbeantwortet. Die Sachbearbeiterinnen glauben immer noch sie sei „illegal eingereist“. Und damit, so die unausgesprochene Folgerung, auch schuld an allem, was ihr passiert ist.
Fakt ist: Jennifer I. war, nach Schengen-Abkommen, legal eingereist, um illegal als Prostituierte Geld zu verdienen. Das hatte sie bei einer Anhörung eingeräumt. Am 15. Februar, zwei Wochen nach der ersten Razzia in der Helenenstraße, hatte die Polizei sie dort festgenommen.
Die 550 Euro, die sie bei sich hatte, behält der Staat ein – um seine Auslagen gegenzufinanzieren.
Als Jennifer I. schließlich durch die Sicherheitskontrolle geht, muss sie ihren Koffer öffnen. Eine Flughafen-Mitarbeiterin durchwühlt ihre Sachen. Anschließend wird das Gepäckstück erneut durchleuchtet. Die Mitarbeiterinnen der Ausländerbehörde warten bis zum Abflug. Um sicherzugehen, dass Jennifer I. nicht doch zurückkommt. Um halb zwölf ist ihr Job erledigt.
Die Rechtsanwältin Graebsch bemüht sich unterdessen, eine weitere Mandantin aus dem Abschiebegewahrsam freizubekommen.
Auch Justina A., ebenfalls in der Helenenstraße festgenommen, hat laut Graebsch eine Italien-Aufenthaltserlaubnis, soll aber nach Nigeria abgeschoben werden. Ihr Fehler: Sie hatte zunächst eine gefälschte für Spanien vorgelegt, weil sie befürchtete, die vorläufige für Italien sehe den deutschen Behörden nicht offiziell genug aus.
EIKEN BRUHN