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Archiv-Artikel

An der Schnittstelle

MONOTONIE Nach der Ausstellung in gleich zwei Frankfurter Museen zeigt nun die Galerie Mehdi Chouakri den Serientäter Peter Roehr

Ein junger Künstler mit klaren Vorstellungen, jemand, der weiß, was er will

VON SIMONE JUNG

„Ob das, was ich mache, Kunst ist, weiß ich nicht. Andererseits wüsste ich auch nicht, was es sonst sein könnte.“ Peter Roehr wird von seinen Zeitgenossen als ein bescheidener, ruhiger, aber bestimmter Mann beschrieben. Ein junger Künstler mit klaren Vorstellungen, jemand, der weiß, was er will. Jemand, von dem man noch viel erwarten durfte. Und jemand, der viel zu früh starb. Peter Roehr war 23 Jahre alt, als der Krebs ihn niederstreckte. Ihm blieben nur fünf Jahre, um ein Werk zu schaffen, das heute, 40 Jahre später, als Vorreiter der Konzeptkunst bezeichnet wird.

Als 18-Jähriger stößt der gelernte Leuchtreklame- und Schilderhersteller 1962 auf eine dynamische Kunstszene im Umfeld der internationalen Avantgardebewegung Zero und Fluxus. Inspiriert durch eine neue Bild- und Formsprache zwischen Reduktion und Entauratisierung findet er in kürzester Zeit einen eigenen künstlerischen Ausdruck: die serielle Wiederholung des Immergleichen. Seiner Ziele bewusst zieht er sich früh aus der lokalen Kunstszene zurück und arbeitet wie ein Besessener an seiner Idee. Ein Atelier besitzt er nicht, Geld hat er auch nicht. So sitzt der junge Künstler in der Küche seiner Mutter im Frankfurter Gallusviertel und beginnt zu werkeln. Ihm genügen zunächst Schere und ein paar Werbeprospekte. Und er ist schnell: Es entstehen Montagen wie am Fließband. Fotos von Damenköpfen, Kaffeetassen oder Autos, sie alle werden ausgeschnitten und mit klugem Kopf strategisch aneinandergereiht. In seiner kurzen Schaffensphase zwischen 1962 und 1967 fertigt Roehr mehr als 600 Werke.

Der Künstler geht dabei mit einer so großen Beharrlichkeit, Strenge und Konsequenz vor, dass man von einem Lebenswerk sprechen kann. Radikal wie kein anderer reiht er in seinen Werken ausnahmslos identisches Alltagsmaterial seriell so lange aneinander, bis aus dem ursprünglichen Material ein zweites „Bild“ entsteht oder es sich aus einiger Entfernung zu einem abstrakten Muster zusammenschließt. Ob 36 Fotografien identischer Volkswagen, die in der Abenddämmerung über den Strand preschen, der Buchstabe N, der sich systematisch in tausendfacher Anzahl neben- und untereinander anordnet, oder sechs mal sechs rote, sterngezackte Etikettaufkleber, die sich zu einem Quadrat formieren, hier trifft der berühmte Ausspruch „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ ins Schwarze.

Das Faszinierende dabei ist: Das ursprüngliche Material verändert sich nur durch seine unveränderte Wiederholung. So verliert sich der Fokus des Ursprungsbildes in seiner Wiederholung. Gegenstandslosigkeit macht sich breit. Der Sinn eines Werbefotos abstrahiert sich ins Nichts. Für diesen Zustand ist die Anzahl der Wiederholung entscheidend: „Überschreitet die Anzahl der Gegenstände in der Reihung eine bestimmt-flexible Grenze, so lösen sie sich auf und werden zu Grundeinheiten einer für sie spezifischen Struktur. Wird eine andere, bestimmt-flexible Anzahl nicht erreicht, so bleibt es bei einer Ansammlung von Gegenständen“, beschreibt Roehr sein Verfahren.

Nur die Wiederholung erzeugt Veränderung. Die Folge: Die Künstlersubjektivität wird negiert. Entgegen Andy Warhol und der gleichzeitig aufkommenden Pop-Art verändert Roehr weder sein Material farblich, noch ordnet er es künstlerisch an. Meistens verwendet er einfaches, fast sprödes Material (ob Klebezettel, Streichholzschachteln, Knöpfe oder Kaffeedosen ohne Etikett). In der Pop-Art wie auch bei den auf Selbstbezüglichkeit gepolten Minimalisten amerikanischer Herkunft gibt es immer noch den Künstler hinter dem Werk; Roehr jedoch bleibt als Autor anonym bis zur Unkenntlichkeit.

Einfachheit, Reduktion, Monotonie, das sind Schlagwörter, die den Künstler beschreiben. In einer Zeit, in der die Beatles, die Blumenkinder, der „fun“ und die Vielfalt das Prinzip der Zeit zeichneten, erkannte Peter Roehr die Monotonie als seine Maxime an. Eine Monotonie, die nicht langweilt, sondern gerade durch ihre Einheitlichkeit an Schönheit gewinnt. Nicht das Aufregende, das Ereignisreiche, sondern das Konstante, das Alltagsgeschehen definierte Roehrs Kunstverständnis, das gegen den herrschenden Zeitgeist ging. So blieb der Künstler zeit seines Lebens weitgehend unbekannt.

Nun wird er wiederentdeckt, seine Bedeutung in der Kunstgeschichte endgültig besiegelt: Erst kürzlich stellten die beiden renommierten Frankfurter Museen, das Städel und das Museum für moderne Kunst, das Oeuvre des Künstlers aus. Ein bemerkenswerter Ausstellungskatalog zeugt davon. In Berlin widmet derzeit die Galerie Mehdi Chouakri dem Ausnahmekünstler eine Einzelausstellung, die noch einmal deutlich macht, dass der Künstler ein höchst differenziertes und komplexes Werk hinterlassen hat, welches an den Schnittstellen von Minimal, Konzept- und Pop-Art durch eine erstaunliche Eigenständigkeit überzeugt.

■ Bis 17. April, Galerie Mehdi Chouakri, Invalidenstr. 117, Eingang Schlegelstr. 26, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Katalog (Michael Imhof Verlag), 29,95 €