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Archiv-Artikel

Ein blaugelbes Wunder

Lieb gewonnen haben wir das Mantra von „Deutschland, einig Servicewüste“. Doch was ist dann mit den Postbeamten los? Haben die nichts besseres zu tun, als freundlich und zuvorkommend zu sein? Eine Suche nach dem Geheimnis der Lächel-Filiale

von Eiken Bruhn

Das geht doch nicht. Dafür ist der gar nicht zuständig. An diesem Schalter werden keine Pakete bearbeitet. Wenn das alle machen würden! Egal, die „richtige“ Schlange ist zu lang, vielleicht verrät der Postbeamte, wieviel Porto man mindestens drauf kleben muss. Also schüchtern gucken: „Entschuldigung, ich weiß ich bin hier falsch, aber…“ Kurzer Blick auf Päckchen und Kundin. „Ja, gehmse ma rüber, ich geh das schnell wiegen.“

Das gibt’s doch gar nicht. Ist das hier wirklich eine Post? Ja, Leuchtreklamen gelb, Hemden blau. „Bremen 1“ heißt die Filiale an der Domsheide, die größte der Stadt. Was ist hier los? Neulich war die Frau hinter dem Schalter auch schon so entgegenkommend. Der Brief war falsch adressiert und die Frankierung geschätzt. „Ach, das stecken wir einfach in einen Umschlag von uns, dieses Mal mit der richtigen Adresse.“ Wie jetzt? Umsonst? Ohne Tadel? Und erzählte nicht ein Freund, wie er es nicht geschafft hatte, seine Bewerbung vor Feierabend fertig zu machen und wie er trotzdem den dringend benötigten Poststempel bekommen hatte – „ausnahmsweise“ jedenfalls?

Ist das noch die vertraute „Servicewüste Deutschland“? „Draußen nur Kännchen!“ „Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse!“ „Sie müssen hier nichts kaufen!“ – alles vorbei und vergessen? Willkommen im Land, in dem der Postbeamte zwei mal lächelt?

Die Umfragen der Marktforschungsinstitute sind uneindeutig. Während die einen behaupten, mit der Service-Qualität gehe es im Zuge von Sparzwängen wieder den Bach runter, glauben die anderen, die Deutschen hätten endlich begriffen, dass sich gute Manieren bezahlt machen. Laut dem jährlich veröffentlichten „Kundenmonitor Deutschland“ der „Servicebarometer AG“ wurden die Kundenfreundlichkeit der Dienstleistungsgewerbe 2005 überwiegend besser beurteilt als im Jahr zuvor. Klar, jede unterbezahlte Verkäuferin im Drogerie-Discounter flötet ihr „Schönes Wochenende“, als wäre ihr Job der wunderbarste auf Erden. Und auch der eine oder andere Schaffner der Deutschen Bahn AG muss schon einmal ein so genanntes „Lächel-Seminar“ besucht haben. Doch nach wie vor gibt es keine Garantie, dass hinter einem Lächeln ein sozial kompetenter Zeitgenosse steckt. Gerade Schaffner verlieren im Konfliktfall oft jede Contenance.

Vielleicht können die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Bremer Wunderfiliale ihr Service-Geheimnis verraten. „Wie machen Sie das eigentlich?“, lautet die schlichte Frage. Zur Antwort stehen bereit: Der Filialleiter, die Vertriebsleiterin für Bremen, der Pressesprecher, eine ausgewählte Dame vom Schalter, ein ausgewählter Herr aus der Beratung. Die Arbeitshypothese, hier sei mit allen Mitteln der Mitarbeiterschulung gearbeitet worden, bestätigt sich. Zunächst. „Seit zwei Jahren führen wir verstärkt Seminare im Kundenbereich durch“, sagt die Vertriebsleiterin Claudia Lammers-Humer. Der Grund: „Wir sind nicht mehr alleine auf dem Markt.“ Dann sagt sie noch, dass „Kommunikation“ ganz wichtig sei und jeder Kunde mit seinen Wünschen ernst genommen werden müsse und Reklamationen eine Chance bieten sich zu verbessern.

Und wie hilft einem die Schulung auf diesen Weg? Martina Mauer, die im vergangenen Jahr nach 13 Jahren in einer anderen Filiale an die Domsheide gewechselt war, lobt die „lockere Atmosphäre“ der Seminare und dass man „aktiv eingebunden“ wurde. Man hätte mal eine andere Perspektive eingenommen und die eigene Arbeit mit den Augen des Kunden gesehen. Was er da so gesehen habe, daran will sich ihr Chef, Harry Hartmann, nicht so gerne erinnern. „Das ist lange her“, sagt Hartmann, seit 1972 bei der Post. Er schwärmt von den Neuerungen, die seine Filiale anbietet. Auf Nachfrage räumt er ein, dass er nicht mehr zurück möchte in die Zeit, wo der heutige Kunde ein „Postbenutzer“ war.

Deutlicher wird Klaus Reich, der 1972 „ganz klein“ angefangen hat, bei der Post und sich hochgearbeitet hat, vom Austräger zum Schalterbeamten an der Domsheide. „Der Beamtenmuff ist weg“, sagt Reich. Dabei sind die Beamten noch da: 25 von 32 Postlern an der Domsheide sind verbeamtet. Reichs Geheimnis: „Augenkontakt, lächeln und immer einen guten Spruch parat.“ Allerdings muss er einräumen, dass er ohnehin ein freundlicher Mensch ist und gerne am Schalter arbeitet, wie seine Kollegin auch. Die schöne Arbeitshypothese fängt an zu wackeln. „Das Klima war hier schon immer gut“, sagen beide, nur habe früher niemand etwas von gespürt, als die Postler noch hinter Glasscheiben hockten. „Da fehlte einfach der Bezug zum Kunden“, sagt Mauer und alle nicken. Die Hypothese stürzt in sich zusammen, alles eine Frage der Einstellung, Seminar hin oder her.

Und auf Kundenseite ist es offenbar Glückssache, an wen man gerät. „Es gibt Kollegen, die halten es nicht für nötig, etwas an ihrem Verhalten zu verändern“, sagt ein Bremer Postmitarbeiter, der seine Kritik nur anonym äußern möchte. Außerdem sei das Klima nur in den großen Filialen so gut, weil dort der Leistungsdruck noch nicht so groß sei. „Das wird sich noch ändern, wenn das Monopol ganz fällt, dann kommt noch einiges an Mehrarbeit auf uns zu.“ Sollte es dann mit dem Lächeln vorbei sein: Wahrscheinlich wäre der Kunde beglückt. Denn worüber sollte er sich sonst beschweren?