: Trübe Aussichten für den „Kurier“
Die Stimmung beim Berliner Verlag ist mies: Die neuen Besitzer durchkämmen seit Wochen das Haus nach Einsparmöglichkeiten in Millionenhöhe. Erstes Opfer könnte das Boulevardblatt „Kurier“ sein
VON STEFFEN GRIMBERG
Beim Berliner Verlag gibt es eine schöne Tradition: Ein Neujahrsempfang, der so spät im gar nicht mehr allzu neuen Jahr liegt, dass die meisten schon wieder an Ostern denken. Diese Woche war es wieder so weit. Doch das rauschende Fest konnte nur mühsam überdecken, dass das Frühjahr für das Zeitungshaus (Berliner Zeitung, Berliner Kurier, Tip, Anzeigenblätter) alles andere als angenehm wird.
Am 1. März tagt wieder der Aufsichtsrat des von der Investorengruppe um den britischen Medienunternehmer David Montgomery übernommen Verlags. Seit Wochen durchkämmen Arbeitsgruppen das in den vergangenen Jahren längst durchsanierte Haus auf der Suche nach neuen, noch größeren Möglichkeiten, Geld zu sparen. Denn Montgomery & Co. wollen sich die Tilgung ihrer Kredite nebst Zinsen aus dem laufenden Geschäft bezahlen lassen. Was nach Informationen von Insidern dieses Jahr gerade noch gelingen könnte, wird spätestens 2007 zur Unmöglichkeit: Zwischen 10 und 20 Millionen Euro müsste der Verlag dann Gewinn machen.
Doch was die Arbeitsgruppen bislang vor allem im Umfeld des Stadtmagazins Tip und der Anzeigenblattreihe Berliner Abendblatt ausgemacht haben, rangiert eher im 100.000-Euro-Bereich. „Ohne weitere heftige Einschnitte beim Personal sind die Renditevorstellungen der neuen Eigentümer nicht zu machen“, sagt ein Mitarbeiter.
Ins Visier gerät hier zunächst der Boulevard: Schließlich hat Montgomerys Mannschaft gerade noch die Hamburger Morgenpost gekauft. Die Betriebsräte von Berliner Verlag und Hamburger Morgenpost laufen bereits gegen ein Zusammengehen der nichtlokalen Teile der beiden Blätter Sturm: „Die Identifikation der Beschäftigten mit dem jeweiligen Titel und der Arbeit darf nicht gefährdet werden“, sagt Renate Gensch vom Berliner Verlag. Doch die hinter dem jetzt auch vom Kartellamt überraschend schnell genehmigten Deal steckende Logik liegt auf der Hand – auch wenn am kommenden Mittwoch Kurier-Chefredakteur Hans-Peter Buschheuer seine Vorstellungen für das Blatt noch einmal separat im Aufsichtsrat präsentieren darf. Wie Uwe Vorkötter, sein Pendant bei der Berliner Zeitung, hatte sich Buschheuer gegen die Übernahme des Verlags durch die Finanzinvestoren gewehrt.
Dafür fand vergangene Woche eine interessante Visite im Verlag statt: Aus London war Anne McElvoy vom Evening Standard gekommen. Der Evening Standard ist Londons führende lokale Tageszeitung, taugt aber wenig als Modell für die deutsche Hauptstadtpresse. Denn das Blatt ist auch Londons einzige lokale Tageszeitung und könnte bald ganz in einer Gratiszeitung aufgehen. Auch schrumpft seit Jahren die Auflage – kein gutes Omen für Berliner Lehren aus Londoner Vorschlägen.
Die Stimmung im Haus ist entsprechend: „Wir gehen ohne Illusionen an das Kommende heran“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Betriebsräte von Hamburger Morgenpost und Berliner Verlag.