: Mieter fordern Geld für Vermieter
Stopp, sagt der Berliner Mieterverein. Nicht weitere Wohnungsverkäufe, sondern Geld vom Land solle die angeschlagene WBM retten. Bei Privatisierungen blieben Mieterrechte oft auf der Strecke
VON MATTHIAS LOHRE
Wer hätte vor einem Monat gedacht, dass Verkäufe landeseigener Wohnungen heute den Wahlkampf dominieren würden? Doch seither ist das Finanzdesaster bei der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) offenbar geworden. Die Kritik an Misswirtschaft und massenhaftem Verkauf öffentlichen Wohnraums trifft immer stärker den Senat. Gestern hat nun der Berliner Mieterverein ein „Schwarzbuch Privatisierung“ vorgelegt, in dem er ausführlich die Folgen von Privatisierungen in der Hauptstadt vorstellt – und fordert: „Weitere Verkäufe darf es nicht geben.“
Für Mieterverein-Geschäftsführer Hartmann Vetter ist die Lage klar: Die Pläne des WBM-Aufsichtsrats, für das Überleben des Unternehmens bis zu 15.200 Wohnungen zu verkaufen, sind der falsche Weg zur Sanierung. „Wer einer weiteren Privatisierung das Wort redet, der ist naiv oder will wissentlich täuschen.“
Gemeint sind die SPD-SenatorInnen Thilo Sarrazin (Finanzen) und Ingeborg Junge-Reyer (Stadtentwicklung). Deren Verwaltungen sind mit einem Sitz im Aufsichtsrat der hundertprozentigen Landestochter WBM vertreten. Dadurch ist der Senat mitverantwortlich für die Pläne, mehr als die Hälfte der insgesamt 27.400 WBM-Wohnungen zu verkaufen. „Das bedeutet den absoluten Ruin“ des Unternehmens, sagte Vetter. Auch für die Bevölkerungsentwicklung der betroffenen Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte seien die Privatisierungen „katastrophal“.
Damit mehren sich die Stimmen gegen die Verkaufspläne. Neben dem Berliner Mieterverein mit seinen 150.000 Mitgliedern propagieren auch die Fraktionen von SPD und Linkspartei einen Privatisierungsstopp – gegen den eigenen Senat. Sie fordern ein Sanierungskonzept, das möglichst viele der insgesamt noch 277.000 Wohnungen in öffentlicher Hand belässt.
Während die ParlamentarierInnen vom Senat Lösungen fordern, gibt der Mieterverein selbst eine. Geschäftsführer Hartmann Vetter verlangt Landeshilfen für die WBM. Immerhin habe das Land von 1991 bis 2001 mehr als 1,7 Milliarden Euro Rendite aus seinen Wohnungsbaugesellschaften erzielt.
Anders argumentieren die Betriebsräte der WBM-Gruppe. In einem offenen Brief kündigten sie gestern Zugeständnisse bei den Personalkosten an, um den geplanten Abbau von 275 Arbeitsplätzen zu verhindern. Die WBM drückt ein Schuldenberg von 1,2 Milliarden Euro. Insgesamt haben die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen Schulden in Höhe von 8 Milliarden Euro.
Die umstrittenen Notverkäufe der WBM sind für die MieterschützerInnen nur „die Spitze des Eisbergs“. Berlin drohe eine „schrittweise Enteignung“ des Gemeinwesens durch die privaten Investitionsfirmen – die berühmten „Heuschrecken“. Ihre „schnellen und hohen Renditeerwartungen“ führten wie im Fall der 2004 privatisierten GSW zu unnötigen Modernisierungen und starken Mieterhöhungen. Nach einem Weiterverkauf würden die Mieterrechte stark eingeschränkt. Das träfe viele BerlinerInnen. Das sensible Thema wird den WahlkämpferInnen also erhalten bleiben.