: Wie die Arschgeigen grüßten
GESCHICHTE Ein ehemaliger Bundesgrenzschützer zeigt Besuchern seinen Arbeitsplatz. Er kontrollierte Reisende in die DDR – und sah den Kollegen drüben von Weitem zu
■ Der Übergang Duderstadt-Worbis wurde am 21. Juni 1973 eröffnet und war mit fünf Millionen Reisenden der am häufigsten benutzte Grenzübergang an der innerdeutschen Grenze.
■ Das Museum besteht seit 1995. Im Jahr 2010 wurde die Einrichtung erweitert und umgestaltet. Bislang kamen fast 900.000 Besucher ins Museum oder in die angeschlossene Bildungsstätte.
■ Geöffnet hat das Museum dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr. Infos unter: www.grenzlandmuseum.de
VON REIMAR PAUL
Gleich hinter dem ehemaligen Zollverwaltungsgebäude beginnt der vier Kilometer lange Rundkurs durch ein Stück Zeitgeschichte. Erst geht es ein Stück entlang an der Bundesstraße 247 zwischen dem niedersächsischen Duderstadt und dem thüringischen Worbis, dann weiter auf dem alten Kolonnenweg der DDR-Grenztruppen. „Da hinten, da hatten wir unseren Beobachtungsposten“, sagt Arno Gleisberg und deutet mit ausgestrecktem Arm nach Nordwesten auf einen etwa ein Kilometer entfernten Hügel.
Als die deutsch-deutsche Grenze auch das Eichsfeld teilte, war Gleisberg hier beim Bundesgrenzschutz stationiert. Als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Grenzlandmuseums Eichsfeld führt er heute Besuchergruppen durch die Einrichtung und die weitläufigen Außenanlagen.
An diesem Tag ist ein Kurs der Kreisvolkshochschule Duderstadt zu Gast. Eine Einführung zur Geschichte der deutschen Teilung hat Gleisberg schon im Museum gegeben, jetzt sammelt sich die Gruppe draußen. 24 Stationen dokumentieren das einstige Grenzregime der DDR. Auf einer Länge von 300 Metern sind die ehemaligen Grenzsperranlagen im Original erhalten. Nirgendwo sonst an der früheren innerdeutschen Grenze gebe es noch so ein langes Stück, sagt Gleisberg.
„Das hier war die Kfz-Schnellsperre“, erklärt er und zeigt auf eine schon etwas verwitterte Schranke. „Die sollte Grenzdurchbrüche mit Kraftfahrzeugen verhindern, so hieß das im Grenzerjargon, und konnte innerhalb von drei Sekunden hochgeschossen werden.“ Zum Einsatz sei sie niemals gekommen, aber einmal habe es nachts eine Funktionsprobe gegeben. „Das hat dann so geknallt, dass sich die Leute im nächsten Dorf in ihren Betten erschreckt haben.“
Absolut undurchlässig, wenngleich ziemlich einseitig von West nach Ost, war die Grenze an der Stelle allerdings nicht. Im Zuge des von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) mit der DDR-Führung ausgehandelten Grundlagenvertrags im Juni 1973 öffnete in dem Abschnitt der Grenzübergang Duderstadt-Worbis. Er war mit fünf Millionen Reisenden bis 1989 die am häufigsten benutzte Transitstelle im sogenannten kleinen Grenzverkehr. Der Übergang ermöglichte es vor allem Bundesbürgern, schneller und ohne weite Umwege zu ihren Verwandten und Freunden in den anderen Teil des Eichsfeldes zu gelangen.
Für die Einwohner der DDR blieb ein Besuch im Westen schwierig oder war ganz untersagt. Etwa 50 Menschen aus der Region entschieden sich zur Flucht, elf von ihnen kamen dabei ums Leben – an sie erinnert heute eine Gedenktafel am Museum.
Kurz nach der Eröffnung des Übergangs bauten die DDR-Grenztruppen eine massive Betonbrücke über das kleine, parallel zur Straße in westliche Richtung fließende Bächlein Hahle, um mit ihren Fahrzeugen durchgängig am Zaun patrouillieren zu können. „Solche Gewässer waren beliebte Fluchtrouten“, sagt Ex-Grenzschützer Gleisberg. „Die DDR hat erst mal das Bachbett kahl geschlagen, den Bach mit Gittern gesperrt und das Bachbett mit Betonplatten ausgelegt.“
Auf dem musealen Kurs passieren die Besucher weitere zeitgeschichtliche Hinterlassenschaften: die kleinen, kaum mannshohen Beobachtungsbunker, den früher von Schwachstrom durchflossenen Signalzaun, die Lichtsperren und die Laufanlage für die Hunde.
„Groß, kräftig und scharf mussten die Hunde sein, das war die Hauptsache“, beantwortet Gleisberg die Frage eines Teilnehmers nach den eingesetzten Rassen. „Und sie mussten laut bellen können. Hier oben war ja sonst nur Ruhe, hier konnte man sich vom eigenen Furz erschrecken.“
Die Hunde seien in der Regel im Alter von einem Jahr in die engen Laufgitter gekommen und dort meist bis zu ihrem Lebensende geblieben. Fast 3.000 Tiere, weiß Gleisberg, wurden insgesamt an der Grenze eingesetzt. Nur ein kleiner Teil fand nach der Grenzöffnung neue Besitzer, die meisten Hunde mussten eingeschläfert werden.
Das damalige Verhältnis zwischen den Bundesgrenzschützern und den Grenzern auf der anderen Seite beschreibt Gleisberg als schwierig. „Es gab kaum mal ein Gespräch“, sagt er. „Grüße wurden in der Regel nicht erwidert. Oder höchstens so“ – Gleisberg formt mit den Händen einen Trichter und ahmt dann die Bewegung eines Geigenspielers nach – „mit dem Arschgeigenzeichen.“