: Ganz dicke Bretter
CROSSOVER In den 1980ern prägten Suicidal Tendencies mit ihrer Mischung aus Hardcore, Metal und Funk wesentlich die Musik für die harten Jungs. Die Früchte ernteten Bands wie Biohazard. Jetzt sind beide auf Tour
VON FRANK SCHÄFER
Nie verleugnet hat Mike Muir seine Herkunft als Skate Punk aus Venice Beach. Tief in die Augen hängt dem Gründer und letzten Originalmitglied der Suicidal Tendencies das blaue Bandana-Tuch – eine bekannte Signatur der Latino-Gangs in Los Angeles. Nun gehörten Muir und seine Kollegen selbst vielleicht nie einer Gang an. Ganz offensichtlich aber sympathisierten sie mit ihnen, sahen aus wie Mitglieder der stadtbekannten Gang Venice 13, und rekrutierten ihre Fans aus diesem Umfeld.
Solche „street credibility“ war einer der Gründe für den ungewöhnlichen kommerziellen Erfolg des titellosen Debüts von 1983: Mehr als 150.000-mal verkaufte sich das auf einem Indie-Label erschienene Uffta-Uffta-Geboller. Ein anderer Grund: der legendäre Clip zum Song „Institutionalized“, als erstes Hardcore-Video überhaupt von MTV mit einem gewissen Airplay geadelt.
Dazu kamen ein paar gut lancierte Skandälchen. Das faktische Auftrittsverbot in ihrer Heimatstadt etwa, nachdem marodierende Fans während eines Konzerts die Halle verwüstet hatten und sich kein Veranstalter mehr fand, der die Suicidal Tendencies buchen wollte. Oder das Gerücht, das FBI ermittele gegen die Band – angeblich wegen der Textzeile „I shot Reagan“.
Umtriebig war Muir, gründete ein eigenes Label, versuchte sich auch als Produzent, jammte hier und dort. Vier Jahre vergingen so bis zum zweiten Album. In der Zwischenzeit hatte sich Muir mit Rocky George zusammengeschlossen, einem Gitarristen, den der gerade losbretternde, sehr eigene Thrash Metal der kalifornischen Bay Area begeisterte. „Join the Army“ war 1987 der erste Schritt in diese Richtung, dann wurde mit Epic auch ein Major Label hellhörig und engagierte den Thrash-Produzenten Mark Dodson für das nächste Album: Auf „How Will I Laugh Tomorrow When I Can’t Even Smile Today“ stimmte nicht nur der Sound, auch die Stücke wurden immer länger und komplexer – was den alten Hardcore-Anhängern missfiel und die neuen Metalfans freute.
Mike Muir blieb experimentierfreudig, holte den späteren Metallica-Bassisten Robert Trujillo in die Band und erweiterte das irgendwann „Crossover“ geheißene Konzept freimütigen Umgangs mit diversen Stilen noch weiter: Mit „Lights? Camera? Revolution!“ hatte die Band 1990 endgültig das musikalische Feld abgesteckt, das sie fortan beackerte: harte Gitarren, mal mehr, mal weniger funky. Eine Melange, mit der sie in den 90ern von unzähligen anderen – meist ausschließlich aus Jungs bestehenden – Bands kopiert wurden.
In den späteren 90ern wandten sich Suicidal Tendencies dann wieder deutlich ihren Hardcore-Wurzeln zu, um am Ende aber doch wieder alle Einflüsse schön verrührt zu kriegen. So zuletzt auch auf „13“, dem ersten neuen Album seit, genau: 13 Jahren. Auf dem Cover – ein Totenkopf mit blauer Bandana, die Augenhöhle leicht verdeckt.
Schon zur nächsten Generation der eingeschränkt aufgeschlossenen, ganz harten Jungs gehören Biohazard, die nun mit in der Markthalle zu Gast sind. Die New Yorker Knüppeltruppe machte sich zunächst mit, nun, rechtsordinären Slogans einen dubiosen Namen, von denen sie sich aber bald distanzierten – dann nämlich, als ihr ziemlich handgreifliches Gebräu aus Metal und Hardcore genügend Aufmerksamkeit erfuhr.
Der Durchbruch für die offensiv Tätowierten kam 1993 nach dem zweiten Album und einer ausgedehnten Tournee. Hatten Biohazard zuvor schon sporadisch mit den ähnlich maskulin gestrickten Rappern Onyx zusammengearbeitet, forcierten sie dann 1994 die Fusion von Hip-Hop und Metal noch weiter: mit den Marihuana-Verherrlichern von Cypress Hill. Später schwanden dann die tanzbaren Beats wieder zugunsten von urwüchsigem, immer etwas stumpfem Hardcore-Metal.
Live besaß der stets einige Überzeugungskraft, im Studio nicht immer. Und so lag das Projekt in den Nullerjahren eine Weile auf Eis: Es gab genügend andere Bands und Projekte, Bassist und Sänger Evan Seinfeld kümmerte sich lieber um seine zweite Karriere als Darsteller in, ahem, Erwachsenenfilmen. Vergangenes Jahr erschien dann ein Reunion-Album. Eine gewisse Melodieverliebtheit hat darauf ihre Spuren hinterlassen. Und das verleiht den dicken Brettern wieder mehr Durchschlagskraft.
■ Mi, 17. 7., Markthalle