: Geschichte per Gesetz
Das Urteil gegen den Holocaust-Leugner David Irving zeigt die Grenzen der Justiz auf. Denn historische Tatsachen und Erinnerungen lassen sich nicht staatlich verordnen
In Wien wurde in dieser Woche der Holocaustleugner David Irving zu drei Jahren Haft verurteilt, obwohl er ein taktisches Geständnis abgelegt und seine früheren Thesen relativiert hat. Das Urteil erging auf der Grundlage eines österreichischen Gesetzes, das „Wiederbetätigung im Sinne des Nationalsozialismus“ verbietet, und fand viel Zustimmung. Optimisten sehen damit gar „das Ende der Auschwitzlüge“ heraufdämmern.
Das wäre zwar schön, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn David Irving hat eine weltweite Fangemeinde, und seit er im November in U-Haft kam, hat er rund 600 Briefe von seinen Anhängern erhalten. Das deutet weniger auf ein baldiges „Ende der Auschwitzlüge“ hin als darauf, dass Rechtsradikale Irving nun erst recht zum Märtyrer und Helden der Meinungsfreiheit aufbauen werden. Denn das Verleugnen von Völkermorden wie dem Holocaust beruht nicht auf historischem Wissen und Tatsachen, sondern auf nationalistischen oder rassistischen Ressentiments und Spekulationen. Nur bornierte Ignoranten und fanatisierte Trottel können Völkermorde leugnen. Aber gegen ignorante und idiotische Meinungen helfen keine staatlichen Meinungsverbote. Vielmehr sollte der Staat im Rahmen seiner Möglichkeiten auf die Vermittlung historischen Wissens und Aufklärung setzen.
Medien und Gesellschaft dagegen müssen sich überlegen, mit welchen Strategien sie extremistische und verleumderische Thesen anprangern, ächten oder boykottieren. Denn Leugner von historischen Tatsachen gehören nicht vor Gericht, sondern der öffentlichen Missachtung und Verachtung ausgeliefert. Ihnen gebührt nicht das Gefängnis, sondern die soziale Ächtung.
Es gibt ein grundsätzliches Problem: Denn in einem demokratischen Rechtsstaat gibt es keine Instanz, die legitimerweise per Dekret verordnen könnte, welche historischen Tatsachen staatlich geschützt und zu Stoffen der Erinnerung erklärt werden sollten und welche nicht. Mit Meinungsverboten maßt sich der Staat jedoch ein Richteramt über historisches Wissen, erinnerungswürdige Geschichte und öffentliche Moral an. Damit manövriert er sich aber, wenn auch mit guten Absichten, in eine Sackgasse. Denn gegen bornierte Ignoranten und fanatisierte Trottel helfen nicht Gesetze, sondern Zivilcourage, historische Aufklärung und politisches Engagement der Bürger.
Erinnerungen kann man nicht verordnen, historisches Wissen nicht staatlich sanktionieren. Vor allem aber: Erinnerungen und Gedenken ohne historisches Wissen bleiben leere Rituale. Historiker schaffen nicht Erinnerungsbestände und Gedenkreservoire für den staatlich administrierten Opferschutz, sondern sorgen für historisches Wissen, das mit Argumenten und Belegen revidierbar bleibt. Das Gedenken an Opfer von Gewalt und die Erinnerung an Verbrechen können sich nur in komplexen gesellschaftlichen Lehr- und Lernprozessen herausbilden. Sie müssen sich in der alltäglichen Praxis als mehrheitsfähig erweisen – und zwar ohne staatliche Protektion oder Strafandrohung.
Wann und wie historisches Wissen und historische Aufklärung in alltagspraktisches Gedenken und Erinnern übergehen, hängt von vielem ab. An den Völkermord am europäischen Judentum wollten sich nach 1945 und für mindestens zwanzig Jahre nur ganz wenige erinnern. Der Beginn der Erinnerung an den Genozid an den Armeniern 1915 brauchte fast hundert Jahre – und sie bleibt umstritten.
Am Beispiel der Türkei, der Schweiz, Frankreichs und Ruandas kann man ermessen, in welche Lage sich ein Staat bringt, wenn er historische Erinnerung strafrechtlich schützen und bestimmte Meinungen verbieten will. Ein türkisches Gesetz vom Juni 2005 bedroht mit Haft zwischen sechs Monaten und drei Jahren, wer „das Türkentum“ herabwürdigt. Tut dies jemand im Ausland, erhöht sich die Strafe um ein Drittel.
Mit einem solchen Gummiparagrafen kann man natürlich jeden bestrafen. So traf es auch Hrant Dink, den Verleger einer armenischen Zeitung in Istanbul, weil er gegen den Fanatismus protestierte, mit dem Berufsarmenier aus dem Exil gegen die Türkei zu Felde ziehen. „Euer Zorn gegen die Türken vergiftet eure Identität“, rief er ihnen zu. Genau das hat ihm in der Türkei absurderweise ein Verfahren wegen Herabwürdigung des „Türkentums“ eingetragen.
In der Schweiz gilt das genaue Gegenteil wie in der Türkei: Hier ist nicht die Behauptung, sondern die Leugnung des Völkermords an den Armeniern verboten und strafbar. Das gut gemeinte Gesetz hat dazu geführt, dass ein Schweizer Staatsanwalt nun etwa gegen den linksnationalistischen Politiker Dogu Perincek ermitteln muss, weil dieser den Genozid als „Lüge von Imperialisten“ bezeichnet. Der türkische Außenminister warf der Schweiz daraufhin vor, die Meinungsfreiheit zu missachten. In der Türkei ist der Kampf gegen den „Mythos vom armenischen Völkermord“ in nationalistischen Kreisen eine Frage der nationalen Ehre geworden: Im März will ein Komitee, dem viele türkische Honoratioren angehören, sogar den Drahtzieher des Genozids von 1915/16, Talaat Pascha, an dem Ort ehren, an dem er vor 85 Jahren ermordet wurde – in Berlin.
In Frankreich gibt es gleich vier Gesetze, mit denen der Staat historische Tatsachen und Erinnerungen strafrechtlich schützen möchte. Ein Gesetz vom 17. 7. 1990 stellte die Leugnung der Judenvernichtung unter Strafe und schuf dazu den Straftatbestand „Negationismus“. Elf Jahre später erreichte die rührige armenische Gemeinde in Frankreich, dass das Gleiche für den Völkermord an den Armeniern gilt. Ein ähnliches Gesetz gibt es nun in Ruanda, dass die Leugnung des Völkermords von 1994 an den Tutsi unter Strafe stellt.
Im Jahr 2001 erklärte Frankreich mit einem Gesetz die „Harkis“, die Soldaten nordafrikanischer Herkunft in der einstigen französischen Kolonialarmee, zu Opfern französischer Politik. Ins gleiche Gesetz wurde zudem ein Passus über die „positive Rolle“ der französischen Präsenz in Nordafrika aufgenommen, doch nach energischen Protesten aus dem In- und Ausland musste Jacques Chirac das Gesetz annullieren. Ein anderes französische Gesetz vom 23. 5. 2001 hat zudem den seit dem 15.Jahrhundert betriebenen Sklavenhandel und die Sklaverei zu „Verbrechen gegen die Menschheit“ erklärt.
An diesen Beispielen werden die absurden Folgen der „Tribunalisierung“ oder „Verrechtlichung der Vergangenheit“ (Henry Rousso) deutlich. Denn die Funktionen von Richtern und Historikern sind zu unterscheiden: Ein Historiker kann jedenfalls keine Antwort auf die absurde Frage geben, wie und von wem Verbrechen gesühnt oder auch nur mitverantwortet werden könnten, die vor 400 Jahren verübt wurden. Denn eine historische Verantwortung Nachgeborener lässt sich nicht vom ersten bis zum letzten Glied begründen. Und historisches Wissen verliert – früher oder später – für Nachgeborene seine identifikatorischen Anschlussmöglichkeiten. Rudolf Walther