: Neuaufbau in Rekordzeit?
HOCKEY Das deutsche Team tritt fast nur mit WM-Neulingen an. Dennoch steht es wie gewohnt im Halbfinale
BERLIN taz | Es ist eine bemerkenswerte Serie. Und besonders bemerkenswert ist, dass sie von dieser jungen Mannschaft fortgesetzt wird, mit der eigentlich ein Neuaufbau eingeleitet werden sollte. Seit Ende Februar 2002 haben die deutschen Hockeymänner bei einer Weltmeisterschaft kein Spiel mehr verloren. Und dabei ist es bislang auch beim laufenden Turnier in Indien geblieben. Mit einem 5:2-Erfolg gegen Neuseeland qualifizierten sich die Deutschen am Dienstag als Vorrundenerster für das Halbfinale gegen England, das heute um 13.35 Uhr europäischer Zeit angepfiffen wird. Das hatte niemand von diesem neu zusammengestellten Ensemble erwartet. Schließlich sind 15 der 18 Spieler zum ersten Mal bei einer WM dabei. Die Deutschen haben nun die Chance, Einzigartiges zu bewerkstelligen: Nach den WM-Titeln 2002 und 2006 kann das Team von Trainer Markus Weise zum dritten Mal in Folge Weltmeister werden.
Es ist ein vermutlich noch zu ambitioniertes Ziel. Aber das Team scheint diese Vision eher zu beschwingen als zu belasten. Benjamin Wess erklärte: „Das darf es noch nicht gewesen sein, jetzt ist alles möglich, jetzt beginnt der Spaß.“ Und Torwart Tim Jessulat sagt: „Das Spiel gegen England wollen wir auf jeden Fall gewinnen. Die Silbermedaille ist unser Minimalziel.“
Es wird gewiss schwierig werden gegen die absolute Hockey-Elite. Denn auch die Vorrunde war durchaus beschwerlich. Bei den Remis gegen Südkorea und Holland zeigte das deutsche Team des Öfteren beträchtliche Leistungsschwankungen. Und auch der 5:2-Sieg gegen Neuseeland war nicht so souverän, wie es das Ergebnis vermuten lässt. Coach Weise bilanzierte: „ Bis zum 3:0 haben wir ein gutes Spiel gemacht. Dann hatten wir wackelige Phasen, wir hatten einen kritischen Punkt, wir waren anfällig. Aber wir sind nicht umgefallen.“ Genau dieser Umstand macht Hoffnung. Wer bei solch einem wichtigen Turnier mehrfach haarige Situationen übersteht, der tritt mit einem immer größeren Selbstbewusstsein auf. Das Team, in dem bereits jetzt eine prächtige Stimmung vorherrscht, könnte weiter über sich hinauszuwachsen.
In Neu-Delhi ist dagegen das Interesse am Turnier mit dem Ausscheiden der einheimischen Mannschaft deutlich abgeflaut. Die Zuschauerplätze bleiben größtenteils unbesetzt. Die 15.000 Sicherheitskräfte, die im Einsatz sind, um das Turnier vor befürchteten Terroranschlägen zu schützen, bestimmen dadurch noch mehr die Szenerie. Die Spieler dürfen nur zu ihren Turniereinsätzen das gut bewachte Hotel verlassen. Tim Jessulat sagt: „Wir sind hier Gefangene im Luxusknast.“
JOHANNES KOPP