: Jeder Knick hat System
Wer reinwill, muss sich anpassen: Dass dies auch bei der Kunst so ist, die sich doch gern ihre Ecken und Kanten zugute hält, beweist Fritz Balthaus. Für die Berlinische Galerie hat er eine Skulptur komplett nach den räumlichen Vorgaben entworfen
VON RONALD BERG
Wahrscheinlich haben viele die Kunst von Fritz Balthaus schon einmal gesehen, ohne dass sie ihnen aufgefallen wäre. Zumindest die Besucher der Berlinischen Galerie können sie nicht übersehen. Ob sie die Arbeit auch bemerken, ist eine andere Frage. Denn Balthaus’ Intervention hat sich dem Gebäude in Farbe und Form eingeschrieben. Er hat die architektonischen Gestalten während der Umbauphase des ehemaligen Glaslagers 2003 zusammen mit der beauftragten Industriebaufirma entwickelt.
Leitmotiv war die Offenlegung von Differenzen – etwa zwischen innen und außen. Dazu ließ Balthaus das maßgebende Stützenraster der großen Ausstellungshalle wie einen Kranz auf die obere Fassade abwechselnd in weißen und grauen Flächen malen. Das Innere kehrt sich nach außen, aus Architektur wird Malerei. Zudem hat er eine haushohe, frei stehende Wandscheibe rechtwinklig zum vorgelagerten Bürotrakt des Museums errichten lassen, als Verlängerung der Fassadenflucht und der dahinter versteckten Ausstellungshalle: Aus Raum wird Skulptur. Dieses Spiel mit den Differenzen zwischen innen und außen, hinten und vorne, Fläche und Körper zielt auf etwas Grundsätzliches, nämlich auf die prekäre Unterscheidung zwischen Kunst und Nichtkunst, in der das Museum eine zentrale Rolle einnimmt.
Der Titel von Balthaus’ Arbeit „marked space – unmarked space“ bezieht sich darauf und ist einem Satz des Systemtheoretikers Niklas Luhmann entlehnt. Die Grenze zwischen dem System Kunst und ihrem Außen – also dem, was als Kunst markiert ist und was nicht – wird extrem wichtig, wenn eine werkimmanente Bestimmung nicht mehr ausreicht oder ganz ausbleibt. Das war spätestens der Fall, als Marcel Duchamp 1917 ein Pissbecken zur Kunst erklärte. Die Kriterien des Wahren, Schönen und Guten hatten ausgedient.
Der Rekurs auf Luhmanns Systemtheorie oder das Differenzdenken des Dekonstruktivismus ist typisch für Balthaus und eine ganze Generation. Für die Utopien und Ideale der 68er kam Balthaus, Jahrgang 1952, einfach zu spät. Als er 1983 sein Studium an der Berliner Hochschule der Künste abschließt, hat er von Kunst erst mal die Nase voll. In Westberlin reüssierten Pinselkleckser als die „Jungen Wilden“. „Das war die Hölle“, erklärt Balthaus rückblickend.
Per Stipendium gelangt er nach Los Angeles zu John Baldessari. Zurück in Berlin verlegt sich Balthaus aufs Verlegen: Die fast noch punkigen Bücher von Thomas Kapielski oder über die Kampfmaschinen der Survival Research Laboratories haben Auflagen von 150 Stück. Balthaus, gelernter Buchdrucker, kann irgendwie davon leben. Westberlin, meint er, hatte „die Möglichkeit des Lassens“.
Humor der Genie-Ikone
Richtig los mit der Kunst geht es Anfang der Neunziger. Balthaus zeigt Humor. Seine „Genie-Ikone“, eine schwarze Baskenmütze auf einen quadratischen Keilrahmen gespannt, der Nippel wahlweise nach oben oder unten, nennt er „ironisch und erotisch“. Manche missverstehen Balthaus’ Bezugnahmen auf Größen der Kunst wie Malewitsch als despektierlich. Balthaus selbst sieht sich durchaus in der Tradition der Konstruktiven.
So auch, als er 1996 im Mies van der Rohe Haus die vorangegangene Ausstellung mit der Konkreten Kunst von Richard Paul Lohse wiederholt. Doch statt der Bilder in den Rahmen prangen nun blaue Klebebänder der Transportfirma über den Rahmen. Die so entstandenen Gitterstrukturen sehen den konstruktivistischen Vorläufern ähnlich, nur ihr Status als Kunstwerk scheint ad absurdum geführt. Dabei geht es Balthaus auch hier um die Randbedingungen für Kunst, die in das System Kunst zurückgespielt werden.
Diese buchstäbliche Enttäuschung ist ihm wichtig. Auch bei Balthaus’ aktueller Arbeit in der Berlinischen Galerie haben wieder die Voraussetzungen der Kunst formgebende Kraft. Ausgangsidee war, einen kubischen Körper von maximaler Größe ins Museum zu bringen. „1 Colli“, so der Titel, bedeutet im Fachjargon eine Transporteinheit. Das Unterfangen stößt an den Maßen von Türen und Lastenaufzug sofort an seine Grenzen. Der jetzt ausgestellte hölzerne Kasten mit seinen vielen Aussparungen für den Transport auf dem Hubwagen und den Einschnitten, um unter die Klimaschächte des Museumsdepots zu passen, ist ganz und gar Produkt der räumlichen Umstände. Auch diesmal spielt das Museum als umbauter Raum wie als Institution in der Genese des Kunstwerks die Hauptrolle.
Balthaus erinnert daran, dass Kunst nur dann Kunst ist, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllt, die dem Kunstwerk selbst nicht eigen sind, sondern jenseits der Grenzen der Kunst liegen. Wo diese Grenzlinien verlaufen, das lässt sich an Balthaus’ Arbeiten direkt ablesen. Oder anders gesagt: Wer ins Museum will, muss sich etwas klein machen und darf sich nicht über das Museum erheben. Er würde anstoßen und nicht hineinpassen. In dieser Hinsicht ist nicht nur eine interessante Skulptur entstanden, sondern auch ein Kommentar zum Kunstbetrieb.
Bis 3. Mai, tgl. 10–18 Uhr, Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128