piwik no script img

Archiv-Artikel

Kinderpornoskandal in Mexikos Wahlkampf

Eine Journalistin, die einen Kinderpornoring aufdeckte, wurde mit Hilfe des Gouverneurs von Puebla verhaftet. Der Fall schadet dem Präsidentschaftskandidaten der langjährigen Staatspartei PRI, die zurück an die Macht will

MEXIKO-STADT taz ■ Scheitert Mexikos „Partei der Institutionellen Revolution“ (PRI) an einem Netz von Päderasten? Mitten im Präsidentschaftswahlkampf hat die Verfolgung einer Journalistin der früheren Staatspartei einen schweren Schlag versetzt. Lydia Cacho hatte letztes Jahr in einem Buch einen Kinderpornoring aufgedeckt, in den namhafte Politiker und Unternehmer verwickelt sind.

Letzte Woche veröffentlichte die Tageszeitung La Jornada Mitschnitte von Telefonaten, die diese Vorwürfe untermauern. Die Aufnahmen bestätigen zudem, dass der PRI-Gouverneur des Bundesstaates Puebla, Mario Marín Torres, die Journalistin hatte verhaften lassen, um einen einflussreichen Textilfabrikanten zu schützen. Cacho hatte den Unternehmer beschuldigt, einer der Verantwortlichen für das Netz zu sein.

Seit Veröffentlichung der Mitschnitte fordern Politiker und Menschenrechtler den Rücktritt Maríns. Für gestern war in Puebla eine Demonstration gegen Marín geplant. Nicht nur die Präsidentschaftskandidaten der gegnerischen Parteien machen sich gegen den PRI-Mann stark. Selbst der PRI-Anwärter fürs höchste Staatsamt, Roberto Madrazo, musste sich von Marín lossagen, nachdem Madrazos Umfragewerte für die Wahl am 2. Juli abstürzten. „Der Oberste Gerichtshof muss bis zur letzten Konsequenz gehen,“ forderte Madrazo. Dem stimmte inzwischen das Parlament zu.

Für Empörung sorgte der abfällige Ton, mit dem sich Marín und der Textilunternehmer Kamel Nacif über die feministische Autorin unterhalten hatten. „Um sich zu bedanken“, rief Nacif nach Cachos Festnahme am 16. Dezember 2005 beim PRI-Gouverneur an. Ja, er habe „der alten Fotze gestern eine Lektion erteilt“, antwortete Marín. In einem weiteren Telefonat bittet der als „Jeans-König“ bekannte Fabrikant eine Bekannte: „Zahle doch eine Frau im Gefängnis, damit sie sie vergewaltigt.“ Cacho selbst berichtet von entsprechenden Drohungen.

Die Journalistin war auf Antrag der Staatsanwaltschaft von Puebla von einem Polizeikommando in Cancún, wo sie auch das Frauenrechtszentrum Ciam leitet, mit rüden Methoden festgenommen worden. „Sie haben mich gewaltsam ins Auto gestoßen,“ erinnert sich Cacho. Man habe sie versteckt, damit ihre Anwältin nichts mitbekommt. Dann brachten die Beamten die Journalistin in den 1.500 Kilometer entfernten Bundesstaat Puebla. Zwar musste sie nach 30 Stunden wegen des öffentlichen Drucks nach Zahlung einer Kaution wieder freigelassen werden, doch drohen ihr wegen einer Anzeige wegen Diffamierung von Nacif bis zu vier Jahren Gefängnis. amnesty international (ai) bezeichnete die Festnahme als „Form der Drangsalierung“, um Cachos Engagement „für die Menschenrechte zu behindern“.

Cacho und die anderen Ciam-Mitarbeiterinnen werden immer wieder bedroht. So etwa vor zwei Jahren von einem ehemaligen Bundespolizisten, dessen Ehefrau und Kinder in dem Zentrum Schutz vor ihrem Mann gesucht hatten. Als Reaktion erschien der Expolizist bewaffnet vor Einrichtungen des Ciam-Netzwerks und drohte, die Aktivistinnen umzubringen. Die zuständige Staatsanwaltschaft legte Cacho nahe, sich „nicht mit ihm anzulegen“, da er „von oben geschützt“ werde. Im Oktober 2003 beherbergte Ciam eine Gruppe vergewaltigter Frauen und Mädchen. Dabei stellte sich heraus, dass hinter den Aggressionen eine internationale Bande steckte, die Kindersextourismus organisiert und Pornografie übers Internet vertreibt.

In ihrem umstrittenen Buch „Die Teufel von Eden“ beschreibt Cacho diesen Ring, der seine Basis in Cancún hatte. Auch die Generalstaatsanwaltschaft bestätige die Existenz des Netzes, dem laut Cacho auch der Vizeminister für Innere Sicherheit, Miguel Angel Yunes, angehört. Der mutmaßliche Bandenchef, der Cancuner Hotelier Succar Kuri, sitzt derzeit in den USA im Gefängnis. Mexiko fordert seine Auslieferung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, Kinderpornografie und Geldwäsche. Die letzte Woche veröffentlichten Telefonate lassen keinen Zweifel daran, dass Kuri und „Jeans-König“ Nacif sehr engen Kontakt haben.

Beobachter gehen davon aus, dass der Rücktritt des Nacif-Unterstützers Marín nur noch eine Frage von Tagen ist. Der PRI-Gouverneur selbst will davon nichts wissen und hält Cacho für eine „Kriminelle“. WOLF-DIETER VOGEL