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NEUE MUSIK Mehr als bloß das freie Spiel von Tönen soll es schon sein bei dem Festival „Relevante Musik“. Eine Erinnerung daran, dass auch zeitgenössische Musik engagiert auf gesellschaftliche Themen reagiert
Musik ist dieser Tage so allgegenwärtig wie noch nie zuvor. Praktisch jede Musikform ist mittlerweile zugänglich, kann dank mobiler Technik fast überall gehört werden und den Alltag beschallen. Selbst für sperrigere Angebote wie die Neue Musik gibt es vermehrt einen Rahmen, seien es die diversen Festivals für „zeitgenössische“ Musik oder Projekte wie der „sounding D-Zug“, der im Auftrag der Initiative Netzwerk Neue Musik vor einigen Jahren Bahnhöfe in Deutschland ansteuerte, um dort ungewohntes Tonschaffen darzubieten.
Schön und gut, sagten sich die Macher des Vereins Freunde guter Musik Berlin, aber geht es in der Neuen Musik tatsächlich in erster Linie darum, dass möglichst viele Leute sie hören? Kommt es neben der reinen Vermittlung nicht vielmehr ebenfalls darauf an, was im Einzelnen gehört wird? Muss die Musik sich vielleicht in irgendeiner Form auch mal die Frage gefallen lassen, welche gesellschaftliche Bedeutung sie hat? Eine Antwort will der Verein jetzt mit dem dreitägigen, am Freitag startenden Festival „Relevante Musik“ mit der Villa Elisabeth als Festivalzentrum geben.
Schon der Titel ist eine Provokation. „Relevante Musik“, das scheint ja zu unterstellen, dass umgekehrt alles, was nicht unter dieser Überschrift läuft, irrelevant, will sagen: bedeutungslos und unwichtig sei. Man kann den Titel aber genauso gut als Aufforderung verstehen: Leute, Musik ist mehr als bloß das freie Spiel von Tönen. Sie hat durchaus auch Botschaften, reagiert auf gesellschaftliche Entwicklungen, lässt politische Haltungen erkennen, oft ohne dabei auf Texte als Hilfestellung zurückzugreifen.
Das Programm des Festivals präsentiert unterschiedliche Strategien von Komponisten und Medienkünstlern von den siebziger Jahren bis heute. Im Kammermusikstück „Changing the System“ (1973) des New Yorker Avantgardisten Christian Wolff etwa werden die künstlerische Arbeit des Ensembles und die Aufführungssituation selbst zu politischen Prozessen. Der Klangkünstler Bob Ostertag verwendet für sein Stück „All the Rage“ von 1993 die Aufnahmen von schwulen Straßenprotesten in San Francisco. Und der Berliner Komponist Georg Klein lädt die Benutzer von Smartphones zu einem „partizipativen Soundwalk“ entlang der Spree durch das Regierungsviertel, um den „unsichtbaren Stimmen des Politikbetriebs“, den Lobbyisten, zu lauschen.
In Podiumsgesprächen sollen Themen wie „Avantgarde und/als Politik“ oder „Mediale Ein- und Angriffe“ erörtert werden. Vielleicht ist auch Platz für die Frage, ob sich die Relevanz von Musik allein über außermusikalische Inhalte bestimmt. Da wird es dann allerdings etwas kompliziert. TIM CASPAR BOEHME
■ Relevante Musik, 19.–21. Juli, www.relevante-musik.de