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Archiv-Artikel

Die späte Blüte der Blumenmädchen

Die Hippies Vashti Bunyan, Linda Perhacs und Margo Guryan machten einst Folk-Musik. Niemand wollte sie hören – jetzt werden sie wiederentdeckt

VON ARNO FRANK

Es war einmal ein junges Mädchen mit dem seltsamen Namen Vashti Bunyan. Im Sommer des Jahres 1968 machte sie sich in London auf den weiten Weg zur schottischen Insel Berneray in den Äußeren Hebriden, wo der damals noch recht anerkannte Folksänger Donovan eine Landkommune für Gleichgesinnte gegründet hatte. Für die Strecke brauchte Vashti Bunyan satte anderthalb Jahre – sie war mit der Pferdekutsche gereist. Und hatte, ganz für sich, unterwegs ein paar versponnene Songs geschrieben, die sie auf Anregung der professionellen Musiker auf der Insel zu einem Album zusammenfasste: „Just Another Diamond Day“ erschien 1970 – und verschwand auf der Stelle so sang-, klang- und spurlos von der Bildfläche wie Vashti Bunyan selbst. Und wenn sie nicht gestorben ist …

Es war einmal ein junges Mädchen mit dem seltsamen Namen Linda Perhacs. Aufgewachsen im San Fernando Valley bei Los Angeles und mitgerissen von der naiven Aufbruchstimmung im Sommer der Liebe veröffentlichte sie eine obskure Sammlung höchst seltsamer, hübsch schwurbelig arrangierter Folksongs: „Parallelograms“ kam 1970 in die Plattenläden. Und weil das Album dort wie Blei lag, verschwand das Album bald ebenso sang-, klang- und spurlos von der Bildfläche wie Linda Perhacs selbst. Und wenn sie nicht gestorben ist …

Es war einmal ein junges Mädchen mit dem seltsamen Namen Margo Guryan. Als viel versprechende Musikstudentin in Boston war sie noch 1966 so sehr in den Jazz vertieft, dass sie sowohl Elvis als auch die Beatles komplett verpennt hatte. Bis sie, aus heiterem Himmel, 1968 mit „Take A Picture“ ein lupenreines, federleichtes Pop-Album veröffentlichte, voll mit sonnigen Kompositionen, auf die selbst ein Brian Wilson stolz gewesen wäre und die prompt von Künstlern wie Astrud Gilberto oder Glen Campbell gecovert wurden. Zwischen dem Erfolg und Margo Guryan stand nur noch – sie selbst. Und Margo Guryan mochte weder touren noch Werbung machen für ihr Album. Und so verschwand, wir ahnen es, „Take A Picture“ bald ebenso sang-, klang- und spurlos von der Bildfläche wie Margo Guryan selbst. Und wenn sie nicht gestorben ist …

… dann ist sie heute fast 60 Jahre alt, arbeitet als Musikerzieherin in Los Angeles und staunt: „Ende der Sechzigerjahre fand ich mein Album in einer Kiste mit Ramschware für 39 Cent. Aber zuletzt habe ich ein Exemplar bei Ebay gesehen. Es wurde für 192 Dollar und 50 Cent verkauft. Ich kann es immer noch nicht fassen.“ Es scheint tatsächlich, als würde das einfältige Märchen von den Blütenträumen der Blumenmädchen eine sehr späte, höchst unwahrscheinliche Wendung nehmen. Es ist das Comeback von etwas, was nie wirklich da war. Schließlich beschränkt sich die „Karriere“ der drei Musikerinnen auf ein schwaches, einmaliges Aufglimmen – gefolgt von mehr als drei Jahrzehnten Dunkelheit. Vashti Bunyan und Linda Perhacs haben seit 35 Jahren keine Note mehr geschrieben. Und keine Notiz von der wachsenden Begeisterung genommen, mit der ihre Debütalben in einer neuen US-Folkszene herumgereicht werden.

Von Stars wie dem Neohippie Devendra Banhart, der Harfe spielenden Joanna Newson und jungen Bands wie Animal Collective oder Piano Magic wurden die Damen ins Rampenlicht gelobt und wieder aufgestöbert. Vielleicht auch aufgescheucht. „Ich habe in der Sekunde aufgehört, Musik zu machen, als ich das erste Mal Joni Mitchell hörte“, hadert Linda Perhacs, die heute als Zahntechnikerin in Los Angeles arbeitet. Gewiss ehre es sie, wenn ihre Visionen einer skulpturalen Musik in den Ohren junger Musiker wegweisend und epochal klingt. Der unerwartete Spätruhm zwingt zur schmerzhaften Auseinandersetzung mit dem Flop von damals, mit einem biografischen Bruch.

Vashti Bunyan, die heute als Hausfrau in Edinburgh lebt, musste erst einmal ihren Kindern erklären, was diese Freaks aus den USA denn plötzlich von ihrer Mutter wollten: „Ich hatte mir das Album nie wieder angehört“, sagt sie heute, „es war mir ein wenig peinlich.“ In einer Dokumentation über die Swinging Sixties, „Tonite Let’s All Make Love In London“, taucht im Publikum der jungen Pink Floyd ihr bleiches Gesicht auf; die Musiker auf der Insel Berneray, die ihr damals bei „Just Another Diamond Day“ halfen, gehörten zur damaligen Folk-Supergroup Fairport Convention, was Vashti nicht wusste; die Streicher-Arrangements waren von Robert Kirby, der frisch von den Sessions für Nick Drakes Meisterwerk „Five Leaves Left“ zur Landkommune geeilt war: „Ich dachte jahrzehntelang, nur Fans und Sammler, die alles von Nick Drake oder Fairport Convention haben müssen, interessieren sich für die Platte.“

Auf die Idee, dass es um ihre Musik ging, wäre sie nie gekommen. Sie habe sich damals entscheiden müssen, „Kind oder Karriere“, und bedauere ihre Entscheidung nicht. Unlängst hat sie die Songs vollendet, die sie damals hatte liegen lassen, und zusammen mit neuem Material auf dem traumschönen Album „Lookaftering“ veröffentlicht – mit Unterstützung von Größen wie Simon Raymonde (Cocteau Twins), Joanna Newson und Valgeir Sigurdsson, dem Produzenten von Björk und den isländischen Knispelelektronikern Múm: „Als dann auch noch Robert Kirby vorbeikam, war der Tag perfekt“, erzählt sie von den Aufnahmen in London. Auf „Cripple Crow“ von Devendra Banhart ist sie als Gastsängerin zu hören, mit den Experimentalfolkern von Animal Collective hat sie das Avant-Folk-Juwel „Prospekt Hummer“ vorgelegt – ein eindrucksvolles Dokument der Zeitlosigkeit. Dass neben ihrem Songwriting auch ihre Stimme nach all den Jahren noch immer so unverändert glockenhell und schwebend klingt wie damals, darf nicht verwundern: „Ich habe ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesungen.“

Gleiches gilt für Linda Perhacs, die sich seinerzeit „Parallelograms“ nur ein einziges Mal angehört haben will – und so enttäuscht war über die Qualität der Pressung, dass sie eine solide Ausbildung vorzog. Soeben ist das Album wieder veröffentlicht worden, aufgehübscht mit moderner Technik, die der Musik ganz ausgezeichnet steht: Was Perhacs 1968 vorschwebte, hat – mit moderneren Mitteln – eine Kate Bush erst gegen Ende der Achtzigerjahre realisiert.

Auch Margo Guryan hat im Zuge der Wiederveröffentlichung von „Take A Picture“ ein paar Interviews gegeben, hat aber mit der Vergangenheit abgeschlossen: „Eigentlich interessiere ich mich nicht für Pop“, sagt sie. Sie sei damals nur von „God Only Knows“ von den Beach Boys inspiriert worden: „Ich bin ausgeflippt“, erinnert sie sich und sagt: „Es gibt jetzt junge Leute, die meine Songs mögen. Es ist schön, dass ich nun als das anerkannt werde, was ich immer sein wollte: ein Songwriter. Es sieht aus, als wäre ich ein Spätzünder, oder?“ In ihrem pädagogischen Beruf fühlt sie sich wohl, lehnt alle Angebote ab und will auch nicht auf die Bühne zurück.

Dort übrigens war Vashti Bunyan nie. Unlängst stand sie in London, zitternd, zum ersten Mal überhaupt auf der Bühne: „Es klingt vielleicht blöd“, sagt sie, „aber das letzte Mal habe ich meine Songs am Lagerfeuer vorgetragen.“ Heute arbeitet sie mit dem Laptop an ihrem neuen Album und sagt, was sie schon vor 35 Jahren hätte sagen können: „Es ist nie zu spät, große Träume zu haben.“