: Kein Anspruch mehr auf Einzelzelle
Länder sollen beim Strafvollzug mehr Kompetenzen bekommen. Rechtspolitiker protestieren. Jetzt schon große Unterschiede auf Länderebene beim offenen Vollzug
FREIBURG taz ■ Bundespolitiker sind vernünftiger als Landespolitiker. Das jedenfalls glaubt eine Gruppe von zwölf ehemaligen Justizministern. Die Minister warnen davor, die Gesetzgebung zum Strafvollzug künftig den Ländern zu überlassen.
In einem offenen Brief befürchten die Exminister, dass die Landesparlamente bei jedem Zwischenfall mit Strafgefangenen unter „massiven und irrationalen Druck“ geraten, während „Bundestag und Bundesrat in diesen Fragen erfahrungsgemäß rationaler reagieren“. Die Ministergruppe ist parteiübergreifend zusammengesetzt und reicht von Rupert von Plottnitz (Grüne) bis zu Eberhard Diepgen (CDU).
Die Exminister kämpfen gegen ein Kernstück der geplanten Föderalismusreform. Dort erhalten die Länder zahlreiche neue Gesetzgebungskompetenzen, eben auch für den Strafvollzug – als Ausgleich dafür, dass die Länder im Bundesrat auf etwas Mitsprache verzichten. Am 6. März wollen Regierung, Fraktionen und Ministerpräsidenten das Paket beschließen.
Doch beim Strafvollzug ist die Fachwelt fast einhellig gegen die Kompetenzverlagerung. Schon im letzten Herbst protestierten in einem beispiellosen Appell mehr als hundert Strafrechtsprofessoren gemeinsam mit Anwaltverein, Richterbund und den Verbänden der Anstaltsleiter und Strafvollzugsbeamten. Der „Rückfall in die Kleinstaaterei“ bedrohe die internationale Spitzenstellung des deutschen Gefängniswesens. Gerade wenn es um die Grundrechte von Gefangenen gehe, seien einheitliche Lebensverhältnisse erforderlich. Zwei Jahre Haft dürften in Bayern nicht härter wirken als in Berlin.
Derzeit gilt noch das Strafvollzugsgesetz, ein Bundesgesetz von 1976. Als Vollzugsziel schreibt es die Resozialisierung der Gefangenen vor, diese sollen „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten führen“. Allerdings dient die Freiheitsstrafe laut Gesetz auch „dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“. Faktisch geht schon heute jedes Land bei der Abwägung zwischen Resozialisierung und Sicherheit seinen eigenen Weg.
Deutlich wird dies, wenn man den Anteil der Gefangenen vergleicht, die tagsüber zur Arbeit gehen und innerhalb der Haftanstalt relativ viele offene Türen vorfinden. In Berlin sind über 30 Prozent der Gefangenen im so genannten offenen Vollzug, in Bayern nur knapp 8 Prozent.
In Hamburg hat der schneidige Justizsenator Roger Kusch (CDU) den Anteil des offenen Vollzugs binnen wenigen Jahren von etwa 30 Prozent auf unter 15 Prozent halbiert. Und seinem hessischen Kollegen Christean Wagner (CDU) gelang sogar eine Senkung um zwei Drittel auf nur noch 10 Prozent. Das alles zeigt, dass das Strafvollzugsgesetz des Bundes die Vollzugswirklichkeit weniger prägt als die Verwaltungsvorgaben der Landesminister.
Die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für Strafvollzug auf die Länder wäre also sicher weniger einschneidend, als derzeit oft behauptet wird. Die Länder würden zunächst wohl vor allem das Bundesgesetz inhaltlich kopieren – mit einer Ausnahme: Der Anspruch auf eine Einzelzelle dürfte gestrichen werden, damit die Länder weniger neue Haftanstalten bauen müssen. Doch diesen Schritt werden vermutlich alle Länder gehen, sodass dadurch jedenfalls nicht die Einheitlichkeit in Gefahr geriete.
„Die Resozialisierung bleibt auch in Zukunft selbstverständlich das zentrale Vollzugsziel“, betont der Stuttgarter Justizminister Ulrich Goll (FDP). „Denn wenn Täter unverändert oder noch aggressiver aus dem Gefängnis kommen, dann ist damit der Sicherheit der Bevölkerung am wenigsten gedient.“
CHRISTIAN RATH