: Weder Recht, Gesetz noch Bibel verhaftet
Geheimpapier des Europarats bestätigt Berichte von Flüchtlingshelfern über menschenunwürdige Zustände in Hamburger Abschiebegefängnissen. Opposition fordert Aufklärung. Evangelische Kirche bekräftigt Vorwürfe, Gefangene seien rechtlos
von EVA WEIKERT
Ein gestern bekannt gewordener Bericht des Anti-Folter-Komitees (CPT) des Europarats untermauert die zahlreichen Vorwürfe von Flüchtlingshelfern zu Menschenrechtsverstößen in Hamburger Gefängnissen. Das CPT rügt die Haftbedingungen für Abschiebegefangene im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis als „völlig inakzeptabel“. Die Justizbehörde wies die Kritik zurück: „Der Bericht hat keinen Anspruch darauf, als Bibelzitat bewertet zu werden“, so Sprecher Carsten Grote. Die Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Nordelbischen Kirche, Fanny Dethloff, bestätigte die Straßburger Vorwürfe: In den Knästen herrschten „unkontrollierte Zustände“.
Das Abendblatt hat gestern aus dem internen Bericht des CPT zitiert, der im Sommer fertig vorliegen soll. Eine Delegation des Komitees zur Verhütung von Folter hatte im November Gefängnisse in mehreren Bundesländern inspiziert. Insbesondere der Zustand der Abschiebeabteilung am Holstenglacis sei „extrem schlecht“, warnt sie in ihrer Bilanz, die auch der taz vorliegt. Männer und Frauen lebten in „schmutzigen und heruntergekommenen Zellen“. Sie seien 23 Stunden am Tag eingeschlossen und „systematischer Zensur“ ausgesetzt (siehe Kasten).
„Scheinbar etwas besser“ ist aus CPT-Sicht die Lage in Fuhlsbüttel, wo der Großteil der Abschiebehäftlinge untergebracht ist. Hier dürfen bis zu drei Stunden täglich außerhalb der Zellen verbracht, telefoniert und längere Besuche empfangen werden. „Jedoch ist die Situation bei weitem nicht zufrieden stellend“, bemängelt der Europarat. Auch hier sei die Umgebung „heruntergekommen, und es werden keine sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten geboten“.
Behördensprecher Grote räumte ein, dass die Bedingungen für Abschiebegefangene, „was Arbeit und Beschäftigung betrifft, anders sind“. Weil sie das Land ohnehin verließen, gebe es kein „Resozialisierungsangebot“. Zugleich führte er an, dass im Knast Holstenglacis drei Männer und sechs Frauen untergebracht seien, gegenüber 50 Häftlingen in Fuhlsbüttel. Die Inhaftierung im Untersuchungsgefängnis sei nur in „besonderen Verfahrenssituationen“ nötig. Im Übrigen werde das Justizressort vor einer Bewertung den offiziellen Europarat-Bericht abwarten.
Das Bundesjustizministerium reagierte gelassen auf die Kritik des Europarats, der seinen vierten Deutschland-Bericht erstellt. Bereits im Dezember seien Vertreter aller kritisierten Bundesländer zu einem „regulären Abschlussgespräch“ in Berlin gewesen, so ein Sprecher. Konsequenzen ziehe der Bund nicht, da er kein Aufsichtsrecht besitze.
Pastorin Dethloff, die selbst Abschiebehäftlinge betreut, erinnerte daran, dass Nordelbien die Zustände in der Hamburger Abschiebehaft „permanent bemängelt“. Die Gefangenen, von denen manche über sechs Monate einsäßen, befänden sich in einem „absolut geschlossenen System“ und könnten soziale Rechte wie Telefonieren oder Außenkontakte kaum wahrnehmen.
Die GAL-Abgeordnete Antje Möller forderte, die Unterbringung am Holstenglacis „sofort einzustellen“. Klagen über die Zustände dort häuften sich seit einiger Zeit, warnte sie mit Verweis auf Berichte von Anwälten über Selbstmordversuche und mangelnde medizinische Betreuung.
Die SPD dringt zur Klärung auf eine Sondersitzung des Rechtsausschusses. Mit dem CPT-Bericht habe die Kritik an Justizsenator Roger Kusch (CDU) „eine neue Qualität erreicht“, so SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel. Kürzlich hatte ein Anwalt die Entkleidung und Fesselung von Gefangenen angeprangert. Es sei fraglich, so Dressel, ob es in Hamburgs Knästen „streng nach Recht und Gesetz zugeht“.