: Sommerloch, und mein Hirn blutet
Ein Fuchs, dieser Ronald Pofalla. Nirgendwo ist sein näselnder Singsang zu hören in diesen Tagen, zu sehen ist er erst recht nicht – der Kanzleramtsminister hat es geschafft, mitten im dicksten Geheimdienst-Spähaffärengetümmel einfach abzutauchen. Dabei ist er für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig. Aber wer will schon Tacheles reden, wenn er einen so possierlichen Innenminister vorhampeln lassen kann, der mit seiner Äußerung, dann solle das Volk halt selbst seine Daten verschlüsseln, schon fast auf dem Kuchen-essen-Niveau einer Marie-Antoinette angekommen ist. Schützenhilfe erhält er von CSU-Parteifreund Hans-Peter Uhl, der im FAZ-Interview erklärt, der Staat könne nicht für Schutz sorgen, wenn Daten im Ausland ausgelesen würden. Was aber keine Bankrotterklärung sei. Scho’ recht. Mir blutet das Hirn.
Am Ende geht es nur darum, Aufmerksamkeit abzuziehen. Solange Presse und „Netzgemeinde“ damit beschäftigt sind, über den Innenminister zu witzeln, buddeln sie wenigstens keine neuen Hintergründe zu den Geheimdienstspähereien aus.
Auch wenn das im Ergebnis nur so mäßig funktioniert: Was Pofalla da abzieht, ist Krisen-PR vom Feinsten. Und das mitten im Sommerloch, wo die Journalisten um jede noch so dünne Story kreisen wie die Geier ums Aas, weil man ja Sendungen und Zeitungszeilen nicht jeden Tag mit noch mehr Snowden, noch mehr Rassismusprotesten in den USA und noch mehr Sparen in Griechenland voll kriegt.
Erst Gier auf immer mehr News, dann Übersättigung und genauso schnelles Vergessen aller dreckigen Details – so verlief der Nachrichtenbogen ja auch bei der Flut. Die erst fünf Wochen zurückliegt, sich aber schon eine Ewigkeit entfernt anfühlt: Die Flut, das war doch damals, als es noch mehr zynisches Auflachen hervorgerufen hätte, dass Google jetzt auch noch WLAN-Passwörter unverschlüsselt speichert. Irre. Vor drei Jahren, da hätten angesichts von Prism und Co säckeweise empörte Zeit-Studienrat-Leser die NSA angeschrieben und aufgefordert, ihre digitale Kommunikation genauso zu verpixeln, wie Google das schließlich auch mit ihrer Häuserfassade macht. Heute gehen nicht mal ein paar Tausend dagegen auf die Straße, dass Geheimdienste alles, was auch nur im Entferntesten mit digitalen Bürgerrechten oder Privatsphäre zu tun hat, mit Füßen treten.
Zum Verzweifeln auch, wie schmerzhaft banal auch sonst unsere Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert. Gerade im Sommerloch. Schon klar, Interesse ist ein rares Gut im Informationsflutzeitalter, Kapitalismus gerade im Netz mental, Aufmerksamkeit fast besser vermarktbar als Daten. Gerade ist es diesem Berliner Hiphop-Hampelmann tatsächlich gelungen, mit der dümmstmöglichen Provokation Hunderte von Artikeln herbeizupöbeln, die ihn aus dem Nirwana der Gleichgültigkeit fischen und wieder in irgendwelche Charts bugsieren. Das ist fast so, als würde ein US-Musikmagazin einen Terrorverdächtigen in Rockstarpose auf seinem Cover abdrucken, nur um endlich mal die Verkaufszahlen nach oben zu drücken. Oder als würde man einen vollkommen ignorierten Roman zum Bestseller hochjazzen, indem man enthüllt, dass er aus der Feder von J. K. Rowling stammt.
Ach, wäre man nur so verdrogt wie Hunter S. Thompson, der am Donnerstag 78 geworden wäre. Dann könnte man sich wenigstens ein paar wirklich unterhaltsame Twists für triste Existenzen zurechtdelirieren …
Was man vielleicht aber nicht braucht, wenn man nach Russland schaut – denn die Verurteilung von Oppositionspolitiker Nawalny wegen jeder Menge Holz zu Lagerhaft und politischer Tatenlosigkeit hätte man sich auch auf Pille kaum selbst ausdenken können. Ein Weckruf für alle, die Putin dieser Tage heimlich zu bewundern begannen, weil er sich im Streit um die Auslieferung von Snowden so trotzig gegen die USA stellte. Eine Demonstration, wie das System Putin eigene Kritiker abserviert – plakativer, als es jedes Pussy-Riot-Video vermag, so ambitioniert das neuste Exemplar – wer immer hinter den bunten Strumpfmasken stecken mag – auch auf allen Knöpfen der medialen Aufmerksamkeitsmaschinerie herumdrückt.
Und während NSA-Chef Alexander in den USA sich brüstet, den Deutschen nicht alles über die Abhörtätigkeiten seiner Behörde verraten zu haben, Merkel vor Antiamerikanismus warnt und brav bekennt, sie könne sich in ausländische, also US-Rechtslagen nicht einmischen, dürfte eine sich über den ganzen Schlamassel freuen: EU-Kommissarin Neelie Kroes. Dafür, dass ein geleakter Verordnungsentwurf zeigt, dass sie offenbar doch die Netzneutralität in Europa beerdigen will – und sie eilig beteuern musste, das Gegenteil im Schilde zu führen, interessiert sich derzeit einfach niemand.
MEIKE LAAFF
DANIEL SCHULZ