Geliebte Schülerin

EDITION KATHMANDU Klassisches Dilemma: Ein Mann in den besten Jahren verguckt sich in eine junge Frau: „Der Liebesguru“, ein Roman von Samrat Upadhyay

Vor zehn Jahren veröffentlichte der in den Vereinigten Staaten lebende Nepalese Samrat Upadhyay seinen ersten Kurzgeschichtenband. Er war damit der erste englischschreibende nepalesische Autor, der im Westen verlegt wurde. Sein 2003 erschienener Roman „Der Liebesguru“ liegt jetzt auch in deutscher Übersetzung vor. Das ist schon deshalb zu begrüßen, weil Nepal auch literarisch leicht aus dem Fokus der Weltwahrnehmung rutscht.

„Der Liebesguru“ ist ein Familienroman und eine große Liebesgeschichte, die Erotik und Politik verbindet. Ramchandra, verheiratet mit Goma und Vater zweier Kinder, verdingt sich als Mathematiklehrer in Kathmandu. Um sein mageres Gehalt aufzubessern, gibt er noch Nachhilfeunterricht. Eines Tages nun steht eine bildhübsche junge Frau in seinem Türrahmen und bittet um Nachhilfe.

Schöne Schamesröte

Selbstverständlich widersteht Ramchandra nicht und es geschieht, was geschehen muss. Die beiden verlieben sich ineinander, wobei er die treibende Kraft ist. Aus ihrer verhängnisvollen Affäre entwickelt sich ein patchworkartiges Familiengebilde, dessen Konstruktion allen Traditionalisten die Schamesröte ins Gesicht zaubert. Ungeschminkt und mit einer Dramaturgie und Sinnlichkeit, die sowohl an Nouvelle Vague wie an Hindi-Filme erinnert, erzählt der Roman die alte Geschichte vom Mann in den besten Jahren, der sich in eine zu junge Frau verguckt, deswegen aber noch lange nicht seine Ehefrau verlassen will. Ebenso wenig möchte er sich von der Geliebten trennen. Ein klassisches Dilemma.

Doch der Autor verzichtet auf jegliche Psychologie und entschuldigt seine Hauptfigur auch nicht. Dafür schreibt er feinfühlig und klug über die Anfangseuphorien einer jeden Liebe(lei) und ihre Ausnüchterungstendenzen. Die Liebesfront ist aber nicht die einzige, an der der Familienvater kämpft. Vielmehr hat er in eine wohlhabende Familie hineingeheiratet und seine reichen Schwiegereltern lassen ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit spüren, wie wenig sie ihn akzeptieren.

Mit seiner Familie wohnt Ramchandra in einem „Höllenloch“ und träumt den Aufsteigertraum vom Eigenheim. Dabei konzentriert sich Upadhyay zwar auf Ramchandras Lebens- und Leidensweg, der nicht spezifisch nepalesisch zu deuten ist, platziert seine Geschichte aber in die Zeit der Auflösung des alten Regierungssystems im Jahr 1990. Ramchandra selbst verknüpft sein eigenes Schicksal explizit mit der Lage Nepals: „Meine persönlichen Probleme sind die Probleme meines Landes“, findet er. Rund acht Monate begleitet Upadhyay seine Figuren, ein Epilog erlaubt ihm, ihnen nach einem Jahrzehnt einen abermaligen Besuch abzustatten.

Hintergrundrauschen

Dabei erzählt der Roman auch von den Hoffnungen, die sich mit dem Systemwechsel verbanden, wobei der Autor die politischen Unruhen im Roman geschickt wie ein bedrohlich anschwellendes Hintergrundrauschen inszeniert.

Unmöglich ist es, über dieses Buch zu reden, ohne auf die Edition Kathmandu, in der es erschienen ist, zu verweisen. Der unabhängige Miniverlag operiert derzeit vornehmlich vom nepalesischen Pokhara aus und bringt seit 2007 jedes Jahr ein Buch aus oder über Nepal heraus. „Der Liebesguru“ ist der dritte Titel und der bislang am schönsten aufgemachte. Vorbildlich sind auch das Glossar und das Nachwort des Verlegers und Übersetzers Philipp P. Thapa, in denen er fremde Wörter und Zusammenhänge erklärt.

Leider findet sich der eine oder andere Rechtschreibfehler in dem Buch, was auch Folge der improvisierten Produktionsbedingungen sein dürfte. Aber das nur als kleinliche Anmerkung am Rande, denn irgendwie passen die Fehler sogar zur ulkigen Unbeholfenheit des Protagonisten Ramchandra. Denn dieser Mann, den Upadhyay mit so viel Herzenswärme in die Liebestollerei treibt, trägt durchaus Züge einer Witzfigur und erscheint zudem als entfernter Verwandter von Naipauls Mister Biswas: Ein Außenseiter, der um Wohlstand und Anerkennung ringt wie ein Asthmatiker um Atemluft.

SHIRIN SOJITRAWALLA

■ Samrat Upadhyay: „Der Liebesguru“. Aus dem Englischen von Philipp P. Thapa. Edition Kathmandu, Bergisch Gladbach 2009, 330 Seiten, 23 € www.edition-kathmandu.de