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Archiv-Artikel

Bald Gesetz über Jugendknäste

Seit über 30 Jahren blockieren die Länder ein Gesetz zum Jugendstrafvollzug. Gestern machte das Bundesverfassungsgericht klar, dass es das nicht länger dulden wird

KARLSRUHE taz ■ Selten war der Ausgang eines Verfahrens in Karlsruhe schon bei der mündlichen Verhandlung so absehbar. Das Bundesverfassungsgericht wird bald entscheiden, dass Deutschland ein Jugendstrafvollzugsgesetz braucht. Das Defizit ist eigentlich seit 30 Jahren bekannt, doch erst jetzt fand sich ein Kläger, der den Missstand nach Karlsruhe trug.

Karol R. sitzt in der Justizvollzugsanstalt Siegburg in Nordrhein-Westfalen seine neunjährige Jugendstrafe wegen Mordes ab. Nach einer Schlägerei in der Anstalt bekam er als zusätzliche Disziplinarstrafe unter anderem eine 14-tägige Fernsehsperre. Außerdem wird sein Briefverkehr routinemäßig überwacht. Gegen beide Maßnahmen erhob R. Verfassungsbeschwerde, da eine gesetzliche Grundlage fehle.

Bereits 1972 hat das Bundesverfassungsgericht in einer bahnbrechenden Entscheidung geklärt, dass auch Eingriffe in die Grundrechte von Strafgefangenen gesetzlich geregelt sein müssen. Für den Erwachsenenvollzug wurde deshalb 1976 das Strafvollzugsgesetz geschaffen. Allerdings gibt es für den Jugendstrafvollzug, bei dem der Erziehungsgedanke eine viel größere Rolle spielt, bis heute kein eigenes Gesetz, sondern nur einige wenige Paragraphen in anderen Gesetzen. Hilfsweise wird meist das Strafvollzugsgesetz für Erwachsene angewandt.

Doch damit wird das Verfassungsgericht jetzt Schluss machen. Die acht Richter des Zweiten Senat ließen keinen Zweifel, dass sie vom Gesetzgeber ein eigenes Gesetz für die mehr als 7.000 Insassen der Jugendgefängnisse fordern. Die zu erwartende Ohrfeige trifft dann allerdings weniger Justizministerin Zypries (SPD), die gestern die Bundesregierung in Karlsruhe vertrat, als vielmehr die Länder. Sie ließen im Bundesrat in den letzten Jahrzehnten alle Anläufe des Bundes zu einer gesetzlichen Regelung scheitern.

Umstritten sind dabei weniger Disziplinarmaßnahmen und Postkontrollen, sondern vor allem pädagogische Standards, die der Bund den Ländern vorschreiben möchte. So sollen nach dem letzten Gesetzentwurf von Zypries zwei Drittel aller jugendlichen Gefangenen einen Schul- oder Ausbildungsplatz bekommen. „Die meisten Länder erfüllen diese Anforderung schon heute“, sagt der Greifswalder Kriminologe Frieder Dünkel, der als Sachverständiger geladen war, „aber sie wollen sich aus finanziellen Gründen nicht verbindlich darauf festlegen lassen.“

Auch nach dem Karlsruher Urteil, das in einigen Monaten erwartet wird, dürfte Zypries’ Gesetzentwurf nicht zum Zuge kommen. Denn nach der Föderalismusreform, die bis zum Sommer beschlossen sein soll, werden künftig die Länder für Strafvollzugs-Gesetze zuständig sein. Zypries forderte deshalb eine lange Übergangsfrist: „Wenn die Länder anspruchsvolle Gesetze machen sollen, brauchen sie auch Zeit dafür.“ Der Jugendstrafrechts-Experte Bernd-Rüdeger Sonnen forderte dagegen eine möglichst kurze Frist: „Die Länder können doch den pädagogisch anspruchsvollen Gesetzentwurf des Bundes einfach übernehmen.“ CHRISTIAN RATH