Lass! Sie! Anrufen!

Eine Kampagne appelliert ab heute an das Gewissen von Freiern. Die Kunden der Prostituierten werden nicht verurteilt. Sie sollen darauf achten, ob die Frauen Opfer von Menschenhandel sein könnten. Dann sollen sie ihnen ihr Handy zur Verfügung stellen – für den Anruf bei einer Beratungsstelle

„Sie nehmen die sexuellen Dienste einer Frau in Anspruch? Okay!“

von WALTRAUD SCHWAB

Verantwortliche Freier sind ab heute gefragt. Auf Plakatwänden werden sie daran erinnert, dass in der Bezeichnung „Freier“ immerhin das Wort „frei“ steckt. Und dass zwischen „Ich bin so frei“ und „Ich bin frei“ Welten liegen können.

„Verantwortliche Freier“ heißt die Kampagne, die die Berliner Beratungs- und Koordinierungsstelle gegen Menschenhandel Ban Ying rund um die Fußball-Weltmeisterschaft initiiert hat. Sie wird heute mit Unterstützung von Innensenator Ehrhart Körting (SPD), Frauensenator Harald Wolf (Linkspartei) und Polizeipräsident Dieter Glietsch der Öffentlichkeit vorgestellt.

Bundesweit bereiten sich Frauen- und Menschenrechtsorganisationen auf das Kickerturnier vor. Der Gedanke treibt sie um, dass das kollektive Fußballfieber, in das die Männerwelt gerät, auch eine verstärkte Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen nach sich zieht. In diesem Zusammenhang wird eine Zunahme von erzwungener Prostitution befürchtet.

Die Aktivistinnen von Ban Ying sehen das anders. Menschenhandel – und damit der Handel mit erzwungener Prostitution – gilt zwar als äußerst profitables Geschäft im Bereich der organisierten Kriminalität gilt. „Aber für vier Wochen bringt niemand extra Frauen ins Land“, meint Nivedita Prasad, Koordinatorin bei Ban Ying. Schließlich erfordern die Umstände, unter denen illegale Prostituierte arbeiten, von Zuhältern einiges an Organisation.

Als Ban Ying die Aktion vor einem Jahr plante, stand daher weniger die Befürchtung im Vordergrund, dass Prostitution während der WM zunehmen könne. Vielmehr sollte das Turnier genutzt werden, um Männer, die zu den arbeitenden Prostituierten gehen, als Gefährten im Kampf gegen Frauenhandel zu gewinnen. Denn Freier sind am nächsten dran. „Wenn Freier ein Auge darauf hätten, unter welchen Umständen die Prostituierten sie bedienen, und wenn sie damit verantwortungsvoll umgingen, wäre schon viel gewonnen“, sagt Nivedita Prasad.

Die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Projekten, die mit Menschenhandel zu tun haben, hat sich in den letzten Jahren verbessert. So etwa informiert die Polizei die Projekte, wenn sie bei Razzien auf betroffene Frauen treffen, und bringt sie in die Einrichtungen der Beratungsstellen. Doch Freier sind die Ersten, die handeln könnten. Vor der Polizei und lange bevor Menschenrechtsorganisationen sich um betroffene Frauen kümmern könnten. Man müsste ihnen nur sagen, wie.

An der Stelle setzt die Aktion von Ban Ying an. Für die Kampagne wurde extra eine männerdominierte PR-Agentur angeheuert, die sich Wege ausdenken sollte, um an Freier zu kommen. „Ich weiß das ja nicht“, meint Prasad.

„Sie nehmen die sexuellen Dienste einer Frau in Anspruch, die Haus- und Hotelbesuche macht? Okay!“, heißt es nun auf der ab heute freigeschalteten Homepage www.verantwortlicher-freier.de. Die Kunden der Prostituierten werden nicht verurteilt. Stattdessen wird ihnen gesagt, was sie tun können, wenn sie Unbehagen beschleicht. „Sie denken, irgendwas stimmt nicht. Sie sind unsicher, ob die Frau alles freiwillig macht. Rufen Sie uns an!“

Die Internetseite gibt im Folgenden Hinweise, woran Freier überhaupt Opfer von Menschenhandel erkennen können. So sollte ein Gast etwa aufmerksam sein, wenn eine Frau nicht selbst kassieren darf. Wenn sie permanent überwacht wird. Wenn ihr der Pass weggenommen wurde. Oder wenn ihm ein Dritter sagt, er könne mit der Frau machen, was er wolle.

Das Schlimmste, was sie in all den Jahren ihrer Arbeit gesehen habe, sei ein illegales Bordell gewesen, meint Nivedita Prasad. Dort waren Vietnamesinnen in Kabuffs untergebracht, in denen es außer einer Matratze und Kleenex nichts gab. Die Frauen mussten 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen. Kam ein Freier, mussten sich die Vietnamesinnen zeigen, er suchte sich eine aus, und es wurde ihm gesagt, er könne nun mit ihr tun, was er wolle.

Die Internetseite der Kampagne bietet Freiern daher auch Interventionsmöglichkeiten gleich vor Ort an. So könnten sie etwa auf ihrem Handy die Frau mit einer Beratungsstelle sprechen lassen, wo Beratung in ihrer Sprache angeboten wird.

Ohne Freier gäbe es keine Prostitution. Wer aber sagt, dass sie neben ihrer Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen nicht auch ein wenig nachfragen können, unter welchen Umständen die Frauen diese erbringen?