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Archiv-Artikel

Fernmeldegeheimnis gilt nicht zu Hause

Darf die Polizei Mails und SMS auf beschlagnahmten Computern und Handys lesen? Solche Daten sind nicht vom Fernmeldegeheimnis geschützt, stellte das Bundesverfassungsgericht fest, sondern nur von einem schwächeren Grundrecht

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Wenn die Polizei Computer und Handys beschlagnahmt, darf sie auch die darauf befindlichen E-Mails und SMS lesen. Das Fernmeldegeheimnis gilt in diesem Fall nicht. Dies erklärte gestern das Bundesverfassungsgericht und korrigierte damit seine eigene Rechtsprechung zugunsten der Polizei. Als Ausgleich betonten die Richter des Zweiten Senats wortreich, dass Mails und Kurznachrichten aber vom schwächeren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt sind.

Geklagt hatte eine Richterin aus Heidelberg, die in Verdacht geraten war, Dienstgeheimnisse an die Presse verraten zu haben (siehe Kasten). Dabei war ihr Computer untersucht und ihr Handy beschlagnahmt worden, um festzustellen, ob sie Kontakt zu einem Spiegel-Reporter hatte.

Wie Karlsruhe nun feststellte, gilt bei solchen Durchsuchungsaktionen das Fernmeldegeheimnis nicht. Dieses Grundrecht schütze nur vor den Gefahren, die dadurch entstehen, dass beim Übertragungsvorgang ein Diensteanbieter eingeschaltet ist. Sobald die Nachricht beim Empfänger angekommen ist, ende der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses. Denn nun könne sich der Bürger wieder selbst vor unbefugter Kenntnisnahme schützen, zum Beispiel indem er Mails und SMS löscht oder mit Passworten sichert.

Die Richter verwiesen auf das Briefgeheimnis, das entsprechend konstruiert sei. Es gelte nur, solange der Brief von der Post befördert wird. Wenn ein Brief zu Hause auf dem Tisch oder unter dem Bett liegt, sei er auch nicht mehr vom Briefgeheimnis geschützt.

Beim Empfänger angekommene E-Mails, SMS (und Briefe) werden allerdings vom Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt, da es dabei ja um persönliche Daten geht. Das heißt, dass Computer und Handys nur in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips ausgewertet werden dürfen. So wäre es nach Karlsruher Ansicht etwa unverhältnismäßig, ein Handy zu beschlagnahmen, wenn nur überprüft werden soll, wer mit wem telefoniert hat. Diese Prüfung könne auch vor Ort im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung erfolgen.

Was ändert sich nun durch dieses Urteil? Darauf gibt es drei mögliche Antworten. Die einfache Antwort lautet: nichts. Dass E-Mails und SMS durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt sind und deshalb das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt, ist nichts Neues. Karlsruhe erläutert hier nur die Rechtslage, die ohnehin gegolten hätte.

Mit Blick auf Polizei und Staatsanwaltschaften könnte man aber auch sagen, Karlsruhe habe die Bürger gestärkt, denn es ist immer gut, die Sicherheitsorgane an die Geltung der Grundrechte zu erinnern.

Die spektakulärste Antwort lautet dagegen: Mit dem gestrigen Urteil hat Karlsruhe den Grundrechtsschutz der Bürger reduziert. Denn noch ein Jahr zuvor hatte eine Kammer des Gerichts das Fernmeldegeheimnis auch bei der Beschlagnahme eines Handys angewandt. Nach Protesten der Strafverfolger hat Karlsruhe diese Rechtsprechung nun wieder zurückgenommen.

Für die Praxis hat dies große Konsequenzen. Hätte das Fernmeldegeheimnis auch für gespeicherte E-Mails und SMS gegolten, dann hätten die in Computer und Handy gespeicherten Verbindungsdaten nur beim Verdacht auf „erhebliche Straftaten“ ausgewertet werden dürfen. Jetzt genügt der Verdacht jeglicher Kriminalität.

Und den Inhalt von SMS-Nachrichten und E-Mails hätten die Strafverfolger – bei Geltung des Fernmeldegeheimnisses – sogar nur überprüfen können, wenn wegen einer Straftat ermittelt wird, bei der auch das Telefon abgehört werden darf. So darf jetzt etwa auf einem Computer nach Kinderpornos gesucht werden, die per Mail verschickt wurden, obwohl deshalb das Telefon nicht abgehört werden dürfte.

Das Fernmeldegeheimnis gilt aber auch zukünftig, wenn Verbindungsdaten (wer hat wann mit wem telefoniert oder gemailt) beim Provider überprüft werden. (Az: 2 BvR 2099/04)