LESERINNENBRIEFE :
Wenig Rücksicht auf Radler
■ betr.: „Gefährlicher Helm“ von Michael Cramer, taz vom 16. 7. 13
Die Überschrift suggeriert, Helm tragen beim Radeln sei gefährlich. Dabei ist doch jedem klar, dass ein Helm die Verletzungsgefahr bei einem Sturz mindert. Für Helmpflicht oder gegen Helmpflicht gibt es viele Argumente. Es gibt viele Gründe, warum Autofahrer wenig Rücksicht auf Radler nehmen,
a) mental: die Straße gehört dem Autofahrer. Fußgänger passen ja auch selbst auf, wenn sie über die Straße gehen;
b) materielle Infrastruktur: schlechte Verkehrsführung, wenig Radwege und aufseiten der Radfahrer meist schlecht sichtbare Alltagskleidung statt zum Beispiel leuchtfarbene Westen.
Es ist absurd, das rücksichtslose Verkehrsverhalten der Autofahrer monokausal auf Helm oder Helmpflicht zurückzuführen. Die eigentliche Frage ist doch, wie können wir (beziehungsweise die Politik) die Stadt radlerfreundlicher machen. Und wie können wir die Zahl der schweren Unfälle senken? Dieses Thema wurde von dem Europaabgeordneten und dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen, Herrn Cramer, nicht so richtig erfasst. VEIT BECKER
Warm, sinnlich, brauchbar
■ betr.: „Die erste Trennung“ von Jana Petersen, taz vom 20. 7. 13
Als psychologischer Berater und Therapeut sowie als politischer Psychologe beschäftige ich mich mit einigen KollegInnen intensiv mit den psychologischen Aspekten der Kindertagesstätten. In unsere Praxen kommen sowohl Eltern, die am Konflikt zwischen Arbeit und Kind zerbrochen sind, als auch Kinder, die durch die mangelnde Zuwendung der Eltern und der Kindertagestätten neurotisch wurden. Das ist zahlenmäßig nicht repräsentativ, gewährt uns aber tiefe einblicke in die psychodynamischen Prozesse der Eltern-Kind-Beziehung, über die man ja wissenschaftlich schon seit 100 Jahren, menschlich seit Jahrtausenden sehr viel weiß. Vor allem die Kinderpsychologie wird in der öffentlichen und politischen Debatte fast völlig ignoriert. Dabei hätte sie viel zum Verstehen und verständigen Handeln beizusteuern.
Ihr Beitrag ist das weitaus Beste, das ich jemals zu diesem großen Thema gelesen habe. Endlich eine umfangreiche, auch emotionale Stellungnahme aus dem Erleben einer betroffenen Mutter. Endlich eine äußerst differenzierte Betrachtung aller wichtigen Aspekte. Und, in der alle Medien umfassenden Welt kalter Zahlenspielereien und der „politischen Korrektheit“ (welch letztere ich für etwas sehr Widersinniges halte in einer freien Demokratie), endlich ein Beitrag aus dem Leben, warm und sinnlich, konkret, praktisch, brauchbar. JOSEF SCHÖNBERGER, Julbach
Auf einem gefährlichen Weg
■ betr.: „Die erste Trennung“, taz vom 20. 7. 13
Während die Bindungsforscherin dazu rät, ein Kind nicht vor 18 Monaten in eine KiTa zu bringen, ist es für die forschende Pädagogin ab zwölf Monaten o.k. Woher die Diskrepanz?
Meiner beruflichen Erfahrung nach ist die Frühpädagogik seit geraumer Zeit auf dem gefährlichen Weg, die Förderung der Kognition zur höchsten Maxime zu erheben. Im Einklang mit bilingualem Grundschulunterricht und G8-Abitur sollen unsere Kinder von klein auf fit gemacht werden für den globalen Wirtschaftswettkampf. „MINT“ ist das Zauberwort, das zum Wohlgefallen der DAX-Konzerne die Curricula bestimmt. Das System der sogenannten Frühpädagogik fördert emotionale und soziale Defizite, für deren Behebung dann Heilpädagogik eingefordert wird. Die NICHD-Studie kommt beileibe zu anderen Ergebnissen, als die zitierte Pädagogin uns glauben lässt. ErzieherInnen und LehrerInnen scheinen oft gar nicht zu merken, wozu sie gebraucht werden … DIRK STILKE,
Facharzt für Kinder und Jugendpsychiatrie, Heide
Wer die Augen aufhält
■ betr.: „Die erste Trennung“, taz vom 20. 7. 13, LeserInnenbriefe „Es war anstrengend“ u. a., taz vom 23. 7. 13
Ulrike Müller spricht mir aus Seele und Verstand – ein Artikel fast völlig ohne Väter. Dass es so etwas noch gibt, und dann in der taz! Fast ebenso ausgeblendet: gesellschaftliche Realität. Wer die Augen aufhält, stellt schnell fest, dass milieuübergreifend sehr viele Eltern nicht den Hauch von Instinkt oder Wissen haben, was ihr Kind braucht. Andere sehen darin eine Art Rohmasse, an der möglichst viel herumzufuhrwerken ist, kompensieren ihre eigenen bedauerlichen Defizite (anstatt an sich selbst zu arbeiten) oder erdrücken den Nachwuchs mit zahllosen Aktivitäten. Neben einigen fähigen Eltern, die auch die Persönlichkeitsrechte des Kindes wahrnehmen, gibt es viele fleischgewordene Argumente pro KiTa. Da ist oft auch die „mittelmäßige“ KiTa eine Zuflucht für wenigstens einige Stunden am Tag. Man kann eben nicht davon ausgehen, dass eine Art Mutti-Manufactum die Regel ist! PETRA GROSSE-STOLTENBERG, Hattingen
Wo ist der Fortschritt?
■ betr.: „Die Zeit des Weinens ist vorbei“, taz vom 22. 7. 13
Barack Obama sieht einen Fortschritt im Umgang mit Rassismus, aber wo ist der, bitte schön?! Die Tatsache, dass seine Töchter und ihre Freundinnen aufgeklärt sind, ist keinesfalls repräsentativ für die USA. Er spricht lediglich für einen kleinen elitären Bevölkerungsteil und nicht für die breite Unter- und Mittelschicht des Landes.
JULIA ENGELS, Elsdorf