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Archiv-Artikel

„Viele geben das Enfant terrible“

KÖNIGSKINDER Ihre Chancen auf selbstbestimmtes Glück sind kleiner, sagt die Entwicklungspsychologin Sabina Pauen. Ab der Pubertät brechen manche aus

Sabina Pauen

■ 50, ist Entwicklungspsychologin und leitet an der Universität Heidelberg den Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und Biologische Psychologie.

taz: Frau Pauen, kann sich „Baby Cambrigde“, das erste Kind von Kate und Prinz William, glücklich schätzen, diese Eltern zu haben?

Sabina Pauen: Grundsätzlich ist es eine Chance, auf die Welt zu kommen und Eltern zu haben, die sich über das Baby freuen.

Dieses Kind wird scheinbar wenig Sorgen in seinem Leben haben, zumindest keine Geldprobleme, eine gute Reputation, Einfluss. Ein Vorteil?

Vorteil und Nachteil. Das Kind muss sich um seine materielle Existenz keine Sorgen machen. Aber es wird einem großen Erwartungsdruck ausgesetzt sein, und es hat nicht so viele Freiheiten wie andere Kinder.

Es ist immer das Königskind?

Es hat in seinen ersten Lebensjahren keinen Vergleich und nimmt die Welt, wie sie sich ihm präsentiert. Etikette, Medienrummel, Reichtum, das alles wird normal sein für das Kind. Aber wenn es älter wird, möglicherweise in der Pubertät, der Zeit der Identitätsfindung, kann es sein, dass es damit hadert.

Was passiert dann?

Es gibt Beispiele von Promikindern, die aus dem vorgegebenem Lebensmuster ausbrechen und das Enfant terrible geben. Auch in der englischen Königsfamilie.

Wer wird Enfant terrible, wer bleibt in der Norm?

Diejenigen, die sich mit ihrer vorgegebenen Rolle identifizieren, bleiben. Die anderen rebellieren. Sie müssen sich selbst neu erfinden und vom Wunschbild bewusst abgrenzen.

Was findet die Gesellschaft angemessener?

Glücklicherweise gibt es heute keine so starren Grenzen mehr, in denen sich Königs- und andere Promikinder bewegen müssen wie noch vor hundert Jahren. Seinen eigenen Glücksanspruch durchsetzen zu können, ist heute leichter.

Welche Rolle spielen Eltern in außergewöhnlichen Familien?

Das A und O – wie in „normalen“ Familien auch. Wie angenommen fühlt sich das Kind? Wie geschützt ist es? Bekommt es ein passendes Umfeld? Oder wird es von Beginn an in bestimmte Schablonen gepresst?

Viel Spielraum gibt es bei den königlichen Schablonen nicht.

Die Eltern des royalen Babys sind ja selbst schon Produkt dieser Vorgaben. Viel werden sie dem nicht entgegenzusetzen haben.

Klingt nach Psychostress.

Die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben, nach Anerkennung, Erfolg und selbst erarbeitetem Glück sind in jedem Fall geringer als in einer Familie, bei der alles offen ist.

Weil das Königskind schon alles hat?

Den Weg nach oben gibt es für das Kind nicht. Ein Kind aus einer weitaus ärmeren Familie hingegen kann sich aus seinen Verhältnissen herausarbeiten und sich eigenen Erfolg verschaffen.

Armut ist ein Segen und Reichtum ein Fluch?

Beides hat Vor- und Nachteile. Wer von vornherein über genügend Geld verfügt, kann sich vieles leisten und erlauben, was andere nicht können. Andererseits hat ein solches Kind es leichter, seine Eltern zu enttäuschen.

Anders als ein Kind, dessen Eltern kaum Geld und Erwartungen haben?

Ja, ein solches Kind hat mehr Chancen, positiv zu überraschen. Aber auch schwerer, diese Chancen zu nutzen.

INTERVIEW: SIMONE SCHMOLLACK