: berliner szenen Betteln verbindet
Mehr geben
Ich würde mich wahrscheinlich hassen, wenn ich derjenige wäre, der im Vorraum einer Bankfiliale betteln muss. „Blickkontakt ist wichtiger als Geld“, sage ich mir immer, „wegschauen ist schlimmer als nicht geben.“
Oft lächle ich dann nur und schaue der Person in die Augen. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Bank mit einem frisch knisternden 50-Euro-Schein in der Tasche verlasse. Manchmal gebe ich 20 Cent, die noch im Geldbeutel sind. Meist nehme ich diese schon beim Geldautomaten in die Hand, um nicht im Portmonee mit dem neu erstandenem Bargeld wühlen zu müssen. Wenn ich die Münzen übergebe, sind sie ganz warm und schwitzig.
Heute sitzt ein Mann mit hängendem Irokesenschnitt auf dem Boden des Vorraums. Er schaut mich mit großen Hundeaugen an, als ich die Bank betrete. Ein Hund mit ähnlich hängendem Fell zu seinen Füßen zwinkert mir gelangweilt zu. Ich hebe 50 Euro ab, nehme eine 20-Cent-Münze in die Hand und bleibe dann vor dem Mann stehen. Ich gebe ihm die 20 Cent. Aus einem unverständlichen Impuls heraus streichle ich dem Hund über den Kopf. Eigentlich kann ich Hunde nicht leiden. Meine Hand fühlt sich feucht und talgig an. Ruckartig hebt der Hund den Kopf und schnappt zu.
Weil der Hund kaum Zähne hat, bekomme ich nur einige Kratzer ab. Erschrocken reibe ich mir die Hand, während der Mann den Hund zurückhält. „Tschuldigung“, murmelt er verlegen. Ob der Hund mich auch gebissen hätte, wenn ich einen Euro gegeben hätte?, schießt es mir durch den Kopf. Ein paar Leute starren. Ich krame in meinen Taschen und gebe dem Mann die 50 Euro. „Mir tut es Leid“, sage ich noch schnell und gehe.
MAREIKE BARMEYER