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Archiv-Artikel

Die Händler der vier Jahreszeiten

Sind Public Relations in Konsumgesellschaften die größte Bedrohung der Pressefreiheit? Zumindest ist sie die verführerischste und penetranteste. Für die unabhängige Recherche fehlt den Redaktionen das Geld. Anmerkungen zum schwierigen Verhältnis von Reisejournalismus und Public Relations

von EDITH KRESTA und GÜNTER ERMLICH

„Raffke-Politiker gibt sich als Reporter aus“, titelte die Bild im Juni 2005. Der (frühere) niedersächsische CDU-Landtagsabgeordnete Thorsten Thümler trat als Reisejournalist auf und erschlich so Rabatte in Luxushotels an der Ostsee. Unrühmliche Ausnahme oder gängige Praxis? Thümlers Abzocke war willkommener Anlass, die Reisejournaille mit fundamentaler Kritik zu überziehen: alles Schnorrer, Korrupte, Privilegienritter.

Jungfräuliche Strände und herrliche Sonnenuntergänge, einsame Inseln und makellose Schneepisten beherrschen das Bild vieler Reiseberichte. Hier ist die Welt in Ordnung, wenn es nicht durch Naturkatastrophen, Terrorangriffe oder Entführungen kurzfristig getrübt wird. „Meistens wurde der Journalist, der diese idyllischen Bilder ausgesucht und einen ebensolchen Text geschrieben hat, dafür bezahlt – oder besser gesagt geschmiert: von Hotelbetreibern oder Reiseveranstaltern“, erklärte die Moderatorin des NDR-Medienmagazins „Zapp“ und legte rhetorisch nach: „Völlig normal, machen doch alle? Kein Grund zum Aufregen?“ Reisejournalisten sind käuflich. Ein beinharter Vorwurf. Rufschädigung.

Jürgen Drensek, der Vorsitzende der Vereinigung deutscher Reisejournalisten (VDRJ), wehrte sich vehement dagegen, dass seine Berufsgruppe „von einer kess daherplappernden Nachwuchs-Moderatorin kriminalisiert wurde“ und dass „das Reisejournalisten-Bashing als völlig normal und legitim“ empfunden wird.

Doch was ist dran an diesem Generalverdacht? Zum Zwecke der Berichterstattung werden Journalisten entweder direkt von Fremdenverkehrsämtern, Fluglinien und Hotels oder aber vermittelt durch PR-Agenturen auf Pressereisen eingeladen. Üppig bewirtet, nobel gebettet, allseits umgarnt. Nicht allen gelingt es, sich diesem Werben zu entziehen. Wie der Praktikant, der mit kühlen Cocktails und warmen Worten im Tropenbad empfangen wird. Zurück in der Redaktion hat der studierte Ethnologe vergessen, was er so gerne kritisch betrachten wollte, nämlich den Ausverkauf des Tropenfeelings. Im Gegenteil: Nach dem Besuch ist er hin und weg. Oder der Inlandsredakteur, der zur touristischen Recherche ins „nachhaltige Luxushotel“ eingeladen wurde und später, voll des Jubels über Bett und Küche, die Überprüfung der Nachhaltigkeit vollkommen vernachlässigt hat.

Sind Public Relations in Konsumgesellschaften die größte Bedrohung der Pressefreiheit? Zumindest ist sie die verführerischste und penetranteste. Was bei Politikjournalisten die bestechende Nähe zur Macht ist, ist beim Reisejournalisten das schöne Produkt, das gute Leben unterwegs. Charmante Damen zwischen Anfang 20 und Ende 30, die das Gros der PR-Medienteams stellen, hofieren die Reisejournalisten auf Pressereisen und lesen ihnen fast jeden Wunsch von den Lippen ab – wer kann ihrem charmanten Lächeln, ihrer gesponserten Großzügigkeit widerstehen? Der euphorisierte Redaktionspraktikant und der eingelullte Inlandsredakteur jedenfalls nicht. Auf der Imageskala der journalistischen Ressorts stehen Reisejournalisten gewöhnlich nur noch über Motorjournalisten. „Die kriegen nicht nur Champagner, sondern auch die Mädels gleich dazugeliefert“, erzählt Kollege F., der neulich beim Autotest mitfuhr. „Tagsüber Brummbrumm und nachts bummbumm.“

Grundprinzip jeden journalistischen Handelns ist die Distanz zum Objekt der Berichterstattung. Doch nach einer Studie des Leipziger Medienwissenschaftlers Michael Haller wächst der Einfluss der Public Relations und gefährdet damit zunehmend die journalistische Unabhängigkeit. Dankbar verwerten ausgedünnte Redaktionen das professionell aufbereitete Material von personell gut besetzten PR-Agenturen. „Die Macht der PR geht einher mit der Ohnmacht der Journalisten“, diagnostiziert Haller. Öffentlichkeitsarbeit simuliere Journalismus oder versuche sich als Trojanisches Pferd unerkannt einzuschleichen.

Mit ihrem gerade vorgestellten „Medienkodex“ will die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche Markierungslinien setzen. Das fünfte Gebot heißt: „Journalisten machen keine PR.“ Thomas Leif, Vorsitzender des Netzwerks Recherche, hat kürzlich im taz-Interview klare Grenzen gezogen zwischen PR und Qualitätsjournalismus. „PR ist die Instrumentalisierung von ausgewählten Informationen zu Werbezwecken und stützt sich nur auf eine gesteuerte Quelle. Qualitätsjournalismus hingegen liefert ein umfassendes Bild, indem er mehrere Quellen nutzt und auswertet.“

Was sind aber Texte von Reisejournalisten wert, die sich nur auf eine Quelle, nämlich die Pressereise der PR-Agentur, stützen und keinen Wert auf eigene Recherche legen? Die nur das wiedergeben, was der Journalist serviert bekommt, und nicht das, was er sich selbst aussucht und mühsam erarbeitet? Nicht viel. Nur der Blick auf die Kulisse und nicht der dahinter – zu wenig für einen niveauvollen Reisebericht.

Und die Redaktionen tragen wesentlich zum Niveauverlust bei. Während in überregionalen Qualitätszeitungen der Reisejournalist seine Recherche genauso selbstverständlich als Dienstreise verbuchen kann wie beispielsweise im Ressort Innenpolitik, wird in Regionalzeitungen der Recherche im Reiseteil vielfach nur noch untergeordnete Bedeutung zugesprochen. Weil man der Recherche für den Reiseteil nur wenig Bedeutung zumisst, werden Pressereisen oft als Belohnung an Redakteure anderer Ressorts vergeben. So reisen fachfremde Journalisten vergnügt durch die Welt, zusammen mit dem pensionierten Oberstudienrat und der gelangweilten Gattin des Oberstaatsanwalts, die einst Germanistik studierte und heute ab und zu für die Lokalzeitung schreibt. Thümlers gibt es viele. Pressereisen auch. Und dementsprechend viele nichts sagende Berichte.

„PR und Journalismus verhalten sich ungefähr so wie Teufel und Weihwasser“, sagt Thomas Leif vom Netzwerk Recherche. Doch wie aus dem Teufelskreis herauskommen? Um die journalistische Unabhängigkeit zu wahren, hat das Netzwerk Recherche in seinen Aufnahmerichtlinien eindeutig festgelegt: „Nicht aufgenommen werden können Personen, die ganz oder teilweise in der Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit tätig sind.“ Dagegen nimmt die Vereinigung deutscher Reisejournalisten auch Pressesprecher touristischer Unternehmen und Geschäftsführer von PR-Agenturen der Tourismuswirtschaft auf. Unzulässige Nähe oder praktische Vernunft?

Der Reisejournalismus steckt in einem Dilemma. Ohne Alimentierung durch die Reiseindustrie gäbe es ihn nicht. Durch Gratisreisen ermöglicht die Touristikbranche erst die schönen Reiseberichte aus allen Ecken der Welt. Flüge, Hotelaufenthalte, Transfers werden gesponsert. „99,9 Prozent aller Tageszeitungen und aller freien Reisejournalisten werden eigentlich von der Reiseindustrie finanziert. Das ist ein völlig normales Vorgehen“, erklärte TUI-Sprecher Mario Köpers (demnächst Kommunikationschef des Touristikkonzerns Thomas Cook) im Politmagazin „Panorama“. „Im Moment diktieren diejenigen, die einladen, was im Reiseteil steht“, sagte der Reisejournalist Peter Linden ebendort.

Für die unabhängige Recherche fehlt den Redaktionen das Geld. Damit müssen Reisejournalisten leben. Pressereisen können ihnen die Tür zur Welt öffnen. Erkunden müssen sie diese aber selbstständig. Immer nur im Tross wohl genährter Kollegen wird die Recherche mager ausfallen. Doch in Zeiten, wo Chefredaktionen immer stärker nach Service und Gebrauchswert für Frauen und Familien, Gesundheitsapostel und Aktienanleger schreien, um die Leser ans Blatt zu binden und die Auflage zu stabilisieren, ist der Reisejournalismus zum Vorreiter geworden. Auch in Bezug auf das konfliktträchtige Verhältnis zwischen Journalismus und PR, die Gratwanderung zwischen notwendiger Distanz und pragmatischer Zusammenarbeit, die immer wieder neu ausgelotet werden muss.