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Archiv-Artikel

Bildungspolitische Realitätsferne

betr.: „Letzte Rettung Gymnasium“, taz nrw vom 28.2.06

[...] Da hat es meine Lebensgefährtin doch tatsächlich geschafft, das 2. Staatsexamen mit der Note „sehr gut“ abzulegen und erdreistet sich, entgegen dem im Artikel von Natalie Wiesmann dargestellten Trend, sich an Realschulen bewerben zu wollen! Und was passiert? Da ihr von der Bezirksregierung festgesetzter Abschluss auf „Gymnasium und Gesamtschule“ und nicht auf „Sekundarstufe I und II“ lautet, heißt es lapidar aus diesem Hause: „Eine Bewerbung an einer Realschule ist nicht möglich“. Der Grund liegt in einem „falschen Lehramt“. Im April 2003 (!) hat sie sich ihr Diplom als 1. Staatsexamen anerkennen lassen (damals warb das Ministerium massiv für den Lehrerberuf). Über die Anerkennung wurde sie im Oktober 2003 (!) informiert. Sinngemäß hieß es dort: „Da es seit 1. Oktober 2003 das neue Lehramt (“Gymnasium und Gesamtschule“) gibt, ist das alte (“Sek. I/II“) nicht mehr möglich.“

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! In diesem Zusammenhang wird hier erneut ein deutlicher Trend bezüglich zukünftiger Lehrerbedarfszahlen ignoriert – der Mangel an Realschullehrern ist bereits jetzt eklatant und wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verstärken, auch wenn „Experten“ hundert Mal das Gegenteil behaupten. Medien- und publikumswirksame Schnellschüsse, wie etwa der Zwang, Elternsprechtage nur noch nachmittags durchzuführen oder Fortbildungen und außerschulische Aktivitäten auf ein Minimum zu reduzieren, zeugen von einer derartigen pädagogischen und bildungspolitischen Realitätsferne, dass sich sowohl Eltern, als auch Lehrer häufig fragen, ob auf allen politischen Ebenen die Konsequenzen solcher Entscheidungen vollständig durchdacht werden!

KARSTEN HEILINGER, Bochum